Europa, die Krise und der Kick

Es ist mal wieder so weit: Ein großes Fußballturnier greift ab heute (mindestens) in die Freizeit vieler Menschen ein – bis hin zum persönlichen Ausnahmezustand.

Leute, die eigentlich gar keinen Schimmer haben, schwingen sich plötzlich zu erprobten Experten auf und nerven mit ihren Kurzschluss-Ansichten. Bald wird wieder alles beflaggt sein, was sich nicht wehren kann. Auch werden wieder grausige Maskottchen (siehe Schlumpf- und Schlumpfinchen-Bild) auf den Markt geworfen. Am innigsten stöhnt es sich freilich über jene, die mit dem niederziehenden Neutralitäts-Spruch „Der Bessere möge gewinnen“ aufwarten. Diese Lauen wird ausspeien der Fußballgott.

Schlumpf und Schlumpfinchen, erhältlich bei einer großen Lebensmittelkette (Foto Bernd Berke)

Schlumpf und Schlumpfinchen, erhältlich bei einer großen Lebensmittelkette (Foto Bernd Berke)

Mag auch Europa politisch und ökonomisch ein wacklig gewordenes Projekt sein, so wird doch ab heute immerhin noch ermittelt, wer den erfolgreichsten Kick des Kontinents liefert – leider auch in einem Staatsgebilde von höchst zweifelhafter Statur, womit natürlich die Ukraine gemeint ist. Die Krisenländer Griechenland und Spanien sind jedenfalls mittenmang, die Spanier gelten gar als Mitfavoriten. Ich bin nicht so tollkühn, hier einen Tipp abzugeben. Es heißt, die Deutschen seien endlich mal wieder reif für einen Titel. Neuerdings kann man diese Annahme wieder füglich bezweifeln. Aber bitteschön…

Nur noch dies, aus Sicht des östlichen Reviers: Jogi Löws Entscheidung, im Kern mit dem „Bayern-Block“ anzutreten, kann einem Dortmunder nicht gefallen. Mit seiner Äußerung, bei der EM gehe es mit Verlaub nicht gegen Nürnberg oder Hoffenheim, verkennt Löw völlig, dass Borussia Dortmund just fünf Mal in Folge Bayern München bezwungen hat. Ja, ich springe weit über meinen Dortmunder Schatten und behaupte keck, dass nicht nur der Dortmunder Hummels, sondern auch der Schalker Höwedes in die erste Mannschaft gehört hätte.

Je nun, da gewichtet man eben seine Sympathien ein wenig anders und drückt (auch) den Polen die Daumen, die gleich mit drei BVB-Stammspielern antreten. Also gut, den Deutschpolen Podolski und Klose, den Deutschtürken Özil und Gündogan und ihren Mitstreitern wollen wir auch einiges, wenn nicht gar alles Gute wünschen.

Zur Lektüre – nicht nur in den Halbzeitpausen – empfehlen wir noch rasch zwei neue Bücher: Der Romancier und Dramatiker Moritz Rinke, seines zweiten Zeichens Stürmer des Schriftsteller-Nationalteams, versammelt ebenso liebevolle wie leichtfüßige Kolumnen zum Thema Nummer eins unter dem fast nietzscheanisch klingenden Titel „Also sprach Metzelder zu Mertesacker…“ (KiWi-Paperback, 201 Seiten, 7,99 Euro).

Weitaus ernster geht es in Thomas Kistners Sachbuch „FIFA Mafia. Die schmutzigen Geschäfte mit dem Weltfußball“ (Droemer Verlag, 426 Seiten, 19,99 Euro) zu. Wenn auch nur ein Teil der Vorwürfe stimmt, so ist es schlimm genug bestellt. Nur gut, dass hier der Weltfußballverband am Pranger steht und nicht etwa die europäische Vereinigung UEFA, die ab heute wieder Reibach macht, aber selbstverständlich nur mit lauteren Mitteln, nech?

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Über Bernd Berke

Langjähriger Kulturredakteur bei der Anfang 2013 verblichenen Westfälischen Rundschau (Dortmund), die letzten elf Jahre als Ressortleiter. Zwischenzeitlich dies und das, z. B. Prosaband „Seitenblicke" (edition offenes feld, 2021), vereinzelt weitere Buchbeiträge, Arbeit für Zeitschriften, diverse Blogs und andere Online-Auftritte. Seit 2011 hier. Und anderswo. Und überhaupt.
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6 Antworten zu Europa, die Krise und der Kick

  1. Bernd Berke sagt:

    Meiner Treu! Löw war nicht schlecht beraten, als er Hummels doch noch gebracht hat.

  2. Britta Langhoff sagt:

    Ich hab ja nun in der Tat so gar keine Ahnung und will sie auch gar nicht haben.
    Der Gatte und meine Söhne lassen aber ausrichten: Sie springen als Schalker über ihren Schatten und sind völlig Deiner Meinung!

  3. Bernd Berke sagt:

    Übrigens: Schon jetzt nervt diese seltsame Fernseh-Fußballblüte, die jede Zeitlupe einleitet und bendet.

  4. Bernd Berke sagt:

    Du wirst lachen: Ich halte Großkreutz für überschätzt – im Gegensatz zu den meisten anderen BVB-Spielern. — Aber still jetzt: Die „Dortmunder Seite“ der Polen zelebriert gerade das erste Hochamt.

  5. Philipp Höß sagt:

    Grüße an Herrn Großkreutz, wenn er Dir demnächst mal begegnet, vielleicht kannst Du ihm ja einen Hinweis geben, wie das mit dem Sprung über den eigenen Schatten funktionniert…sein Pech, daß Weidenfeller aus welchem Grund auch immer nicht im Tor steht, sondern eben einer seiner sowas von gar nicht „intim“ Feinde.
    Die Vorgabe „elf Freunde müsst ihr sein“ besteht unausgesprochen weiter, resp. wurde wiederbelebt in Jogis Team. Zwar wird zurecht bemerkt, daß es keine „echten Kerle“ mehr seien, und ich bin selbst gespannt ob ein Spanien ohne Puyol nicht auch Gefahr läuft in Schönheit zu sterben, den Begriff „aggressive Leader“ mocht ich noch nie leiden, ebensowenig die Stereotypen Effenberg oder van Bommel oder Gattuso oder Terry, und ich mutmaße der Trainerstab des DFB sieht’s ähnlich…fürchte nur, so einen kann eine Mannschaft durchaus gebrauchen….nur sollte er nicht Hasstiraden an Mitspieler richten. Nochmals, Grüße an Kevin.

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