„Welttheater“ auf nur einem Kontinent

Von Bernd Berke

Was ist davon zu halten: Wenn ein Band schon „Welttheater“ heißt – und ganze Kulturkreise wie Ostasien, Indien oder Südamerika werden überhaupt nicht berücksichtigt; wenn das Buch (nach Auflagen in den 60er Jahren) vollständig umgeschrieben, aktualisiert worden ist – und es fehlen vollständig die „freien Truppen“, sogar jene von Format und Wirkkraft des „Living Theater“, des „Squat Theater“, von „La Mama“. Was davon zu halten ist? Die Verfasser scheinen ein ganz schön elitäres Verständnis von Theater zu haben!

Die „großen“ Bühnen der Bundesrepublik, der DDR, besstenfalls noch Englands, Frankreichs, Italiens beherrschen alles – und was „groß“ ist, versucht Henning Rischbieter, rühriger Mitherausgeber dieses Wälzers (unlängst legte er ein „Theaterlexikon“ bei Orell & Füssli vor), schon seit langem auch in seiner Fachzeitschrift „Theater heute“ zu bestimmen. Dortmund, unter vielen anderen Städten, ist nach solchem Verständnis ein weißer Fleck auf der Theaterlandkarte, ein Nicht-Ort sozusagen. Selbst Claus Peymanns Bochumer Ära rangiert unter „ferner liefen“, während seine Stuttgarter Zeit noch Gnade findet. Ganz erstaunlich, daß auch Theater-Großtaten von Ariane Mnouchkine oder Robert Wilson nicht vorkommen.

Der Band lebt von überquellender Bebilderung. Höhepunkte zahlloser Inszenierungen werden, auf meist packenden- Fotos, dokumentiert. Die Textbeiträge stammen zum Teil von Kritikerpäpsten wie Hellmuth Karasek und Joachim Kaiser. Sie referieren nicht, sondern wagen – vom Verriß bis zur Hymne – Wertungen, was ein Vorzug ist. Aufs Ganze gesehen, ergibt sich eine Mixtur aus Bilderbuch, Theatergeschichte, Schauspielführer und Lexikon (dafür ist freilich das Register zu dünn geraten, es fehlen etwa Orts- und Schauspielernamen).

Die meisten Stücke werden inhaltlich nur knapp umrissen, deutlicher wird hingegen ihr Sinnpotential für Inszenierungen bloßgelegt. Effekt: Die Dramen erscheinen eher als „Rohmaterial“ im Sinne des Regietheaters, das mit den Vorlagen frei verfährt. Eine Glaubensfrage.

Henning Rischbieter / Jan Berg (Hrsg:): Welttheater. Westermann-Verlag, Braunschweig, Großformat, 496 Seiten, 98 DM

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Über Bernd Berke

Langjähriger Kulturredakteur bei der Anfang 2013 verblichenen Westfälischen Rundschau (Dortmund), die letzten elf Jahre als Ressortleiter. Zwischenzeitlich dies und das, z. B. Prosaband „Seitenblicke" (edition offenes feld, 2021), vereinzelt weitere Buchbeiträge, Arbeit für Zeitschriften, diverse Blogs und andere Online-Auftritte. Seit 2011 hier. Und anderswo. Und überhaupt.
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