Schaubudeneffekte für Puntila – Alfred Kirchner inszeniert Brechts Herr- und Knecht-Stück in Bochum

Von Bernd Berke

Bochum. Die Tür zur Bühne knallt mehrmals laut, dann wird das widerstrebende „Kuhmädchen“ gewaltsam vor die Zuschauer geschubst.Heulend nölt sie Brechts Vorspruch zu „Herr Puntila und sein Knecht Matti“; Man habe ein komisches Spiel gemacht, und zwar nicht zu knapp.

Schon die allererste Zeile ist verändert: „Geehrtes Publikum, die Zeit ist trist“. Bei Brecht hieß es: „Geehrtes Publikum, der Kampf ist hart“. Widerwille, der sich an Brechts klassenkämpferischen Optionen oder Gewißheiten reibt; Mißtrauen gegen einen Text von 1940, der denn auch eher mit Vorsicht genossen (aber doch genossen, also ausgekostet) wird.

Nach dem Vorspiel betritt „Puntila“ (Traugott Buhre) das leicht erhöhte Podest der Spielfläche (Bühnenbild: Peter Bausch). Man denkt an billige Schaubudeneffekte. Und so ist es denn auch: Für Puntila, den finnischen Großgrundbesitzer, der im Suff „menschlich“ wird, bei „Anfällen von Nüchternheit“ aber im Sinne seines Klasseninteresses bedrohlich „zurechnungsfähig“ wird, findet in Alfred Kirchners Deutung die Welt als läppische Inszenierung statt.

Wenn Puntila sich mit den Fühaufsteherinnen verlobt, treten die ihm, von vornherein gewitzt, als wandelnde Kulissen entgegen, als Sinnbilder von Menschen, die auf ihre Arbeitsfunktion reduziert sind. Sogar die Vogelstimmen im finnischen Birkenwald werden mit einem Pfeifchen imitiert. Auch die Puntila-Tochter Eva (Lisi Mangold) kommt unwirklich daher – ein im „Puppenheim“ gefangenes Kind mit dem Appeal eines UFA-Mädels der 30er Jahre. Puntila lebt in einer Irr- und Scheinwelt. Nüchtern geworden, findet er nur deren Reste vor: in den Staub geworfene Brautkränze, demoliertes Mobiliar.

Dieser Puntila wird auch im Rausch nur „fast“ Mensch. Er bleibt bramarbasierender Menschen-Darsteller. Als er eine seiner guten Taten herausstreicht (er hat einen Hirschkäfer von der Straße getragen), zieht Buhre ein Mikro hervor und verkauft seine Menschlichkeit nach Art eines Conférenciers.

Von Anfang an gewappnet gegen Puntilas humane Duseleien ist denn auch sein Chauffeur Matti (Branko Samarovski). Er spielt das üble Spiel nur als überlegener Hofnarr mit. Es vermischen sich schwejkisches Erbteil und Commedia dell’Arte. Samarovski gelingt das bewundernswerte Kunststück, die brachiale Präsenz Puntilas über weite Strecken auszubalancieren. Und gegen wieviel Verve muß er da, äußerlich ruhig bleibend, angehen: Buhre spielt ja a u c h den vor Lebenslust berstenden, momentweise eine Utopie vom verwirklichten „Vollmenschen“ vorlebenden Mann.

Es gibt atemberaubende Szenen: Etwa wenn Puntila mit seinem Nobelschlitten vor einen Telegrafenmasten gerauscht ist: Eine impressionistische Landschaftskulisse, der Mast, der mit Aquavit abgefüllte, fluchende Puntila – alles befindet sich in horrender, liebevoll komponierter Schräglage. Großartig auch, wie Matti die Volksspeise Hering mit Abendmahls-Feierlichkeit verteilt und an der bloßen Reaktion der zum Essen Genötigten ihre Klassenzugehörigkeit ablesbar wird.

Frenetischer Beifall. Verdient haben ihn nach meinem Empfinden – neben Buhre und Samarovski – besonders Eleonore Zetzsche („Schmuggleremma“), Thomas Schendel („Attaché“) und Tana Schanzare für ihr Puntila-Lied.

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Über Bernd Berke

Langjähriger Kulturredakteur bei der Anfang 2013 verblichenen Westfälischen Rundschau (Dortmund), die letzten elf Jahre als Ressortleiter. Zwischenzeitlich dies und das, z. B. Prosaband „Seitenblicke" (edition offenes feld, 2021), vereinzelt weitere Buchbeiträge, Arbeit für Zeitschriften, diverse Blogs und andere Online-Auftritte. Seit 2011 hier. Und anderswo. Und überhaupt.
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