Die Welt wird zur Falle – Der geniale Filmregisseur Alfred Hitchcock wurde vor 100 Jahren geboren

Von Bernd Berke

Lange Sequenzen, ja ganze Filme von Alfred Hitchcock spielen auf engstem Raum – auf einem kleinen Boot, in einem einzigen Zimmer. Hier kann sich die Angst ganz dicht an die Figuren drängen, sie allseits umfangen. Auch für die Kino-Zuschauer gibt es kein Entrinnen vor der Spannung. Hitchcock, morgen vor hundert Jahren geboren, hat die menschlichen Abgründe zutiefst ausgelotet.

Der räumlichen Reduzierung entspricht in seinen Filmen oft die körperliche Fragmentierung. So sind, besonders im mörderischen Moment, Täter wie Opfer nur in Partikeln zu sehen – zitternde Hand, starrer Hals, geweitetes Auge. Am berühmtesten wurden die atemlos und klingenscharf gegeneinander gesetzten Schnitte in der Duschszene von „Psycho“. Wahrscheinlich hat Hitchcocks Frau, die Cutterin und Drehbuchautorin Alma Reville, hier ihren Einfluss ausgeübt. Die Szene weckt jedenfalls so archaische Ängste wie etwa die ganz allmählich sich zu ungeheurer Dunkelheit ansammelnde Bedrohung durch „Die Vögel“.

Sexuelle Obsessionen

Der streng katholisch erzogene Hitchcbck, der äußerlich so harmlos, so schnubbelig-wabbelig wirkte, dürfte in seinem Werk auch verborgene sexuelle Obsessionen verarbeitet haben. „Das Fenster zum Hof“ handelt natürlich vom Voyeurismus. Der Meister selbst brachte ausdrücklich „Vertigo“ mit Nekrophilie und „Marnie“ mit Fetischismus in Verbindung. Zudem treibt Hitchcock mit Vorliebe Blondinen (Grace Kelly, Ingrid Bergman, Kim Novak, Tippi Hedren, sogar die biedere Doris Day) als Opfer durch alle Schluchten des Schreckens.

Freilich kommen sexuell aufgeladene Themen (auch wegen der damals rigiden Zensur) stets raffiniert verhüllt und unterschwellig zur eminent filmischen Sprache, die meist auch ohne Tonspur aussagekräftig bliebe. Gerade deshalb wirken die Szenen umso wuchtiger nach, zumal Hitchcock keine entlastende „Moral der Geschichte“ liefert.

Erschütterung der Identität

Nachhaltige Erschütterung der Identität ist ein weiteres Gravitationszentrum. Vielfach werden Menschen verwechselt und geraten unversehens in den Teufelskreis von Schuld und Sühne. Niemand ist, was er zu sein vorgibt, die Welt wird zum Hinterhalt, zur Falle. Der eigene Ehemann scheint – wie Cary Grant in „Verdacht“ – mörderische Absichten zu haben, doch auch das ist nicht gewiss. Es bleibt lange in der Schwebe.

Zwei Begriffe gingen dank Hitchcock in die Cineasten-Sprache ein: Suspense und MacGuffin. Beispiel für Suspense: Jemand trägt unwissentlich eine Bombe bei sich. Bei Hitchcock weiß das Publikum immer mehr als der Held, nämlich dass und wann die Ladung explodieren wird. Derweil bewegt sich die Figur völlig ahnungslos und redet belangloses Zeug. Daraus erwächst eine schier unerträgliche Dehnung der Zeit. Bis heute spricht man, wenn etwa ein Fußballspiel auf Messers Schneide steht, vom Krimi à la Hitchcock.

MacGuffins sind jene unscheinbaren, oft mit hinterhältigem Humor eingeschleusten Vorwände, die eine Geschichte anstoßen und später gar keine Rolle mehr spielen. In „Psycho“ stiehlt Janet Leigh anfangs ihrem Chef 40.000 Dollar, die hernach völlig unwichtig und quasi nebenher „entsorgt“ werden.

Die Franzosen huldigten ihm

Bis dahin eher als ordentlicher, kommerziell erfolgreicher Filmhandwerker gewertet, wurde Hitchcock seit Ende der 50er Jahre recht eigentlich erst von den französischen Filmemachem der „Nouvelle vague“ entdeckt. Eric Rohmer, Claude Chabrol, Jacques Rivette und François Truffaut huldigten dem Briten. Truffaut, dessen vielstündige Interviews unter dem Titel „Mr. Hitchcock, wie haben Sie das gemacht?“ zum filmkundlichen Wegweiser wurden, hat gelegentlich Kamerapositionen und Schnittfolgen seines Idols detailliert nachgeahmt.

Truffaut, der oft zur eigenen Inspiration tagelang Hitchcock-Filme angeschaut hat, stellte ihn neben die Allergrößten: Hitchcoçk sei ein genialer „Künstler der Angst“ in der Nachfolge eines Edgar Allan Poe oder Franz Kafka. Und weiter: „Ihre Mission ist es, uns an ihren Ängsten teilhaben zu lassen. Dadurch helfen sie uns, uns besser zu verstehen“.

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Über Bernd Berke

Langjähriger Kulturredakteur bei der Anfang 2013 verblichenen Westfälischen Rundschau (Dortmund), die letzten elf Jahre als Ressortleiter. Zwischenzeitlich dies und das, z. B. Prosaband „Seitenblicke" (edition offenes feld, 2021), vereinzelt weitere Buchbeiträge, Arbeit für Zeitschriften, diverse Blogs und andere Online-Auftritte. Seit 2011 hier. Und anderswo. Und überhaupt.
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