Suff und Ernüchterung – Bertolt Brechts „Herr Puntila und sein Knecht Matti“ in Essen

Von Bernd Berke

Essen. Sie legen als Vorspiel einen Schuhplattler hin, sie juchzen und jodeln ein wenig. Gerät Brechts Stück „Herr Puntila und sein Knecht Matti“ etwa ins trübe Fahrwasser der volkstümelnden Unterhaltung? Nein, nicht einmal das!

Als wäre sie den Urhebern plötzlich selbst peinlich, bleibt diese Eingangs-Szene unerfindlich isoliert und folgenlos stehen, sie erstickt geradezu.

Der finnische Großgrundbesitzer Puntila (Claus Boysen) gibt sich als leutseliger Menschenfreund, sobald er besoffen ist. Doch wehe, er wird „sturzhagelnüchtern“ (Brecht). Dann verfolgt er seine Klassen-Interessen, entlässt reihenweise Knechte, beschimpft Matti als Aufwiegler und beleidigt alle Welt.

Matti lässt das Wechselspielchen für eine Weile über sich ergehen, doch er durchschaut die Lage gleich: Den Herrschenden kann man nie trauen. Das Bühnenbild (Monika Gora) im Essener Grillo-Theater zeigt’s ja schon: Man spielt unter einem Viadukt, das in der Mitte geborsten ist. Brückenschlag unmöglich.

Seltsamer Öko-Visionär auf einem Podest aus Stühlen

Matti-Darsteller Wolfram Bölzle leiert seinen Part lapidar herunter. Er kennt ja das Gehabe aller Besitzenden bis zum Überdruss. Boysens Puntila ist da schon (trotz aller Leibesfülle) etwas beweglicher: Wie er auf Freiersfüßen tänzelt und im Handstreich drei Verlobungen mit verwelkten Dorfmädchen unter Dach und Fach bringt, das ist die vielleicht noch beste Sequenz des Abends, der besonders nach der Pause in Langwierigkeit abgleitet. Am Schluss wird Puntila mit einer Kurbel auf (wackelige) Denkmalshöhe geschraubt und darf auf seinem Stuhl-Gebirge vom ländlich-schönen Finnland schwärmen. Ein Oko-Visionär? Ach was!

Theatralische Mangelwirtschaft: Vor allem den Nebenfiguren ist ein schmales Spektrum an Tonfällen und Gesten zugeordnet. Damit müssen sie halt auskommen. Der verschuldete Attaché (Rezo Tschchikwischwili), den Puntilas Tochter Eva (zickig aus lang unterdrückter Geilheit: Sabine Osthoff) nicht heiraten will, muss eben stets auf die gleiche Weise exaltiert sein, der Probst (Arno Kempf) allweil frömmelnd die Hände ringen. So versackt man in den schalen Konventionen der Typenkomödie. Wer gerade nicht redet, steht hilflos herum. Da hilft auch das ausgiebige Kreisen der Drehbühne mitsamt Schwimmbecken, Sauna-Hütte und Beiwagen-Motorrad wenig.

Gestaltloses Wabbeln wie im Alkohol-Nebel

Regisseur Matthias Kniesbeck hat Bertolt Brechts „Volksstück“ also ziemlich „un-brechtisch“ zugerichtet. Er lässt uns arg spüren, dass der Text in seiner ständigen Abfolge von Suff und Ernüchterung durch Monotonie bedroht ist, wenn man nicht hellwach bleibt und ihn entschieden packt. Mal plätschert diese Inszenierung nahezu operettenhaft dahin, dann wieder ergeht sie sich nur noch in haltlosem Geschrei, wobei ganze Text-Passagen akustisch auf der Strecke bleiben. Wie denn überhaupt mit der Sprache gehudelt wird.

Hier werden Haltungen nicht mit Lust am Erkennen hergezeigt, hier lässt man’s gestaltlos wabbeln und treiben wie im Alkohol-Nebel, von dem Puntila umwölkt ist. Doch ein rechter Sinn fürs Chaos entwickelt sich auch nicht, die Komik erreicht niemals den absurden Überschlag-Punkt, sondern fräst sich immer schnell fest.

Lang, lang ist’s her, es war im Januar 1985, doch man erinnert sich noch mit Freuden an die Köstlichkeit der Peymann-Ära: Damals richtete Alfred Kirchner denselben Text mit Traugott Buhre (Puntila) und Branko Samarovski (Matti) in Bochum ein – herrlich prall, schräg, als deftiges und doch sinnreiches Vergnügen. Aber man sollte nicht ungerecht sein: Das war eine völlig andere Liga.

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Über Bernd Berke

Langjähriger Kulturredakteur bei der Anfang 2013 verblichenen Westfälischen Rundschau (Dortmund), die letzten elf Jahre als Ressortleiter. Zwischenzeitlich dies und das, z. B. Prosaband „Seitenblicke" (edition offenes feld, 2021), vereinzelt weitere Buchbeiträge, Arbeit für Zeitschriften, diverse Blogs und andere Online-Auftritte. Seit 2011 hier. Und anderswo. Und überhaupt.
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