Sie lauern überall: Dortmunder Peinlichkeiten

Eigentlich wollte ich – nach diversen miesen Erfahrungen in jüngster Zeit – an dieser Stelle nur über Dortmunder Gaststätten schreiben, die es mit dem Service nicht so haben. Doch dann trug es mich weiter von hinnen. Vielleicht liegt’s ja am Kater nach dem verlorenen Revierderby.

Eines dieser Ausflugslokale liegt an prominentester Stelle im Westfalenpark; dort, wohin viele Dortmunder ihre auswärtigen Gäste mitnehmen. Wie peinlich! Es dürfte weit und breit kaum einen anderen gastronomischen Betrieb geben, in dem derart viele freudlose Dispute zwischen Personal und Gästen anliegen. Allgemeines Kopfschütteln, galgenhumoriges Einverständnis zwischen den Tischen. Berechtige Beschwerden sind hier nicht die Ausnahme, sondern die Regel, ja fast schon Folklore. Da trifft Loriots guter alter Spruch zu: „Herr Ober, dürfen wir I h n e n vielleicht etwas bringen?“

Eine andere Lokalität zehrt vom Ruf als idyllisches Hofcafé, bekommt aber nicht mal eine Zusammenkunft mit knapp 20 Gästen geregelt. Pannen werden dort in absurden Serien produziert, als sei’s dummdreiste Absicht. Ein drittes Haus lockt ebenfalls mit pittoresker Lage in einem Park. Man kann aber an gewissen Tagen von außerordentlichem Glück sprechen, wenn dort binnen 45 Minuten die Bestellung den Weg zum Tisch gefunden hat. Aber wehe, man weist zaghaft auf Fehlleistungen hin…

Oh, ich könnte mich länglich über solche Betriebe auslassen, in denen Unfähigkeit sich mit Hirnrissigkeit und zuweilen auch noch Frechheit vermengt. Halt! Diesen noch! Diesen angemessen peinlichen Kalauer muss ich jetzt noch loswerden, auf dass das letzte Lachen im Ansatz ersterbe: Gastronomie hat hier nichts mit Gast zu tun, sondern mit Gastritis, die man sich vor lauter Ärger zuzieht.

Dortmunder Peinlichkeiten also. Und damit betreten wir ein weites Feld.

Blick vom Florianturm auf den Phoenixsee (Foto: Bernd Berke)

Blick vom Florianturm auf den Phoenixsee (Foto: Bernd Berke)

Beispielsweise die seit Jahrzehnten währende, schier endlose Geschichte um den (Nicht)-Umbau des Hauptbahnhofs, der einer Großstadt nicht würdig ist. „Pommesbude mit Gleisanschluss“ ist beinahe noch gelobhudelt. Neuerdings geht das Gerücht, die Sanierung werde sich womöglich um weitere Jahre verzögern. Ist ja auch egal, ob Behinderte barrierefrei zu den Gleisen kommen oder nicht.

Man muss den jetzigen Zustand mal vergleichen mit den Großmannsträumen, die früher einmal gehegt wurden. Die sehen (auch auf anderen Gebieten) regelmäßig so monströs aus, wie klein Mäxchen sich ungefähr zur Mitte der 60er Jahre Größe und Zukunft vorgestellt hat. Wenn 2014 vis-à-vis vom Bahnhof das Deutsche Fußballmuseum eröffnet (dräuen damit etwa neue Peinlichkeiten?), sollen jährlich Hunderttausende allein deswegen anreisen. Sie werden den Ruhm des Bahnhofs weit hinaus in die Welt tragen.

Beispielsweise die Pfütze namens Phoenixsee. Im Sonnenuntergang mag das überschaubare künstliche Gewässer ja manchmal seine funkelnden Momente haben. Aber das ganze Projekt ist wohl in erster Linie eine Maßnahme, um im Umfeld maximale Immobilienpreise herauszuwuchern. Unterdessen brüstet man sich damit, der See sei größer als die Hamburger Binnenalster. Sprechen wir mal gar nicht von Flair und Tradition, aber wo wäre denn dann das Pendant zur Außenalster? Geradezu lachhaft mutet es an, dass auf diesem Gewässerchen Segelboote fahren dürfen. Kaum sind sie „in See gestochen“, müssen sie schon wieder beidrehen.

Vom sündhaft teuren „Dortmunder U“, das auf Biegen und Brechen noch im Kulturhauptstadtjahr „Ruhr 2010“ eröffnet werden musste, bei dem es aber jetzt immer noch an etlichen Ecken klemmt und hapert, wollen wir nicht weiter reden. Quicklebendiges Kulturzentrum, blühende „Kulturwirtschaft“? Aber nicht doch! Übt euch gefälligst in Geduld!

Hinreichend peinlich auch das Jubiläums-Jubeln der von Anzeigen abhängigen Regionalpresse, die das einjährige Bestehen der Thier-Galerie (Einkaufszentrum mit ca. 160 Geschäften) quasi ohne Gegenstimmen gepriesen hat. Man muss sich nur mal die verwahrlosenden Leerstände bzw. Schlichtläden an den Rändern der City ansehen, um zu ahnen, was hier schleichend vorgeht.

Na und? Dafür haben wir aber den weltgrößten Weihnachtsbaum, freilich zusammengestoppelt aus rund 1700 Fichten, also schlichtweg eine grandiose Sinnestäuschung – auch wenn Japaner, Russen und Holländer das Ding gern fotografieren. Just heute (an diesem sonnigen 22. Oktober) bin ich an der Stelle vorbeigekommen. Und siehe: Sie arbeiten schon wieder am Fundament der Scheußlichkeit (wie es das grässliche, aber mutmaßlich weltexklusive Foto zeigt).

22. Oktober: Hier und heute werkeln sie schon wieder am Fundament für den "weltgrößten Weihnachtsbaum". (Foto: Bernd Berke)

22. Oktober: Hier und heute werkeln sie schon wieder am Fundament für den "weltgrößten Weihnachtsbaum". (Foto: Bernd Berke)

Nun gut. Zugegeben: So gigantische Peinlichkeiten wie Berlin mit seinem Flughafen, Hamburg mit der Elbphilharmonie, Köln mit dem Stadtarchiv oder „Stuttgart 21“, die kriegen wir hier nicht zustande. Aber immerhin! Wir bemühen uns.

P. S.: Jeder beschmutze sein eigenes Nest. Ergo: Wer aus anderen Städten kommt, kehre vor der eigenen Tür. Auch da findet sich eine Menge.

image_pdfPDF öffnen / Open PDFimage_printDrucken / Print
Visited 13 times, 1 visit(s) today

Über Bernd Berke

Langjähriger Kulturredakteur bei der Anfang 2013 verblichenen Westfälischen Rundschau (Dortmund), die letzten elf Jahre als Ressortleiter. Zwischenzeitlich dies und das, z. B. Prosaband „Seitenblicke" (edition offenes feld, 2021), vereinzelt weitere Buchbeiträge, Arbeit für Zeitschriften, diverse Blogs und andere Online-Auftritte. Seit 2011 hier. Und anderswo. Und überhaupt.
Dieser Beitrag wurde unter Architektur & Städtebau, Region Ruhr, Stadt Land Fluss, Wahnwitz abgelegt und mit , , , , , , , , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

10 Antworten zu Sie lauern überall: Dortmunder Peinlichkeiten

  1. Bernd Berke sagt:

    Vielen Dank für den sachlichen Diskussionsbeitrag.

  2. Grützner sagt:

    Ein ganz, ganz mieser Artikel, den der Autor hier zusammengestoppelt hat.
    Ich bin ein in Köln wohnender Dortmunder. Seitdem bin noch stolzer, aus Dortmund zu stammen.
    Tipp: Einfach mal die Klappe halten.

  3. Michaela sagt:

    Wollte sagen: @ Bernd.

  4. Michaela sagt:

    Das Geleucht und der Streichelzoo harren deiner und der Deinen!

  5. Rudi Bernhardt sagt:

    @Bernd Mit Spannung sehe ich der Zweitfassung entgegen und übe mich in typisch Dortmund Zuversicht, diese jubelnd lesen zu dürfen.

  6. Bernd Berke sagt:

    @Michaela: Interessant zu erfahren, dass du jetzt im Garten Eden wohnst. Darf man dich dort mal besuchen? Oder bedarf es dazu einer Seligsprechung?

  7. Bernd Berke sagt:

    @Rudi: Mal sehen, vielleicht schreibe ich eine Zweitfassung nach dem Spiel gegen Real Madrid. Vielleicht lasse ich es dann aber auch lieber bleiben. Je nachdem.

  8. Rudi Bernhardt sagt:

    Es kann nur der jämmerliche Kater nach dem verlorenen Nachbarschaftstreffen zwischen einem außergewöhnlich guten und einem gewöhnlich blauen Fußballverein sein, der gescheite Menschen wie Bernd zu solch explosionsartigen Kritiken an einer bemerkenswerten Stadt wie Dortmund treiben.
    Dortmund hat manches nötiger als das, was es sich so gern beschert (Phönixsee, Fußballmuseum, Weihnachtsbäume und ähnliches), aber eines sicher nicht: den unstillbaren Hang zu mehr Selbstbewusstsein als zum Überleben notwendig ist. Überreichlich damit ausgestattet überlebt Dortmund jeden sich bietenden Herausforderer, sei es das langweilige Essen, das bemühte Bochum oder das heilige Köln. Es setzt sich aber damit auch gern der Lächerlichkeit aus, was Dortmunder in keiner Weise stört.
    Was lehrt (lernt) uns das? Auf die Dauer haben blaue oder rote Fußballvereine wenig Chancen, sich der Dortmunder erfolgreich zu erwehren, denn sie unterliegen meist schon deren Begeisterungsfähigkeit, das kaum Fassbare möglich zu machen oder sie kapizulieren alsbald derer Begeisterungsfähigkeit Fußball zu inszenieren und nicht nüchtern abzuspielen. So ist Dortmund das Spiegelbild seines Vereins, eine Stadt, die Unmögliches schafft, sei es unmöglich im Sinne von total bekloppt oder unmöglich im Sinne von unfassbar großartig.

  9. Michaela sagt:

    „P. S.: Jeder beschmutze sein eigenes Nest. Ergo: Wer aus anderen Städten kommt, kehre vor der eigenen Tür. Auch da findet sich eine Menge.“
    Neinnein, hier bei uns ist alles prima!

Kommentare sind geschlossen.