Musikalischer Jugendstil: Sophia Jaffé mit Erich J. Wolffs Violinkonzert

Der Begriff des „Jugendstils“ ist in der Geschichte der bildenden Kunst nicht unproblematisch; in der Musik leistet er wenig mehr als die Zuordnung eines Werks zu einer Zeitepoche, die von gärenden Aufbrüchen und von schönheitstrunkener Weltflucht, von inspirierter Moderne wie von zähem Festhalten an alten Idealen und Traditionen geprägt war. Es war eine Epoche, die für sich – auf der Suche nach einer neuen Ursprünglichkeit – die „Natur“ lieben lernte. In Erich J. Wolffs Violinkonzert aus dem Jahre 1909 entdeckt der staunende Zuhörer außer einer stupend versierten Komponistenhand auch jene Ranken, aufkeimenden Triebe und aus zarten Knospen wachsenden Blütenwunder, die den floralen Jugendstil in der Kunst kennzeichnen.

Wolff, 1874 in ärmlichen jüdischen Verhältnissen in Wien geboren und 1913 in New York an den Folgen einer Mittelohrentzündung gestorben, gehört zu den großen Unbekannten der Epoche eines Gustav Mahler, Alexander von Zemlinsky oder jungen Arnold Schönberg. Mit ihnen war er freundschaftlich verbunden; Wolffs Lieder wurden damals von vielen Sängern interpretiert.

Heute wäre Wolff komplett vergessen, gäbe es nicht „Schatzgräber“ wie Peter P. Pachl, der das Konzert ausfindig gemacht und neu ediert hat. Pachl sorgte auch für die Ersteinspielung einer Reihe von Wolffs Liedern mit der Sopranistin Rebecca Broberg. Das Violinkonzert wurde nun erstmals in modernen Zeiten – wenn nicht sogar überhaupt zum ersten Mal – in der Reihe der Sinfoniekonzerte der Neuen Philharmonie Westfalen in Recklinghausen, Gelsenkirchen und Kamen aufgeführt.

Als treffliche Wahl erwies es sich, das Konzert der Geigerin Sophia Jaffé anzuvertrauen, die seit fünf, sechs Jahren nach einer Reihe von Wettbewerbserfolgen ihre Karriere ohne viel Getöse aufbaut. Schon der dunkel-sämige Ton des Beginns weckt die Ohren auf: Er kündigt einen Geigenton an, der genau in die lyrische Schwarmwelt des fin de siècle passt. Jaffé kann das blühende Schwellen, das sanfte Ersterben des Tons, seine zärtliche Fülle und sein jubelndes Entfalten hervorrufen.

Sie findet nach einem ersten Forte zum ruhevollen Dialog mit der Harfe, schraubt sich in melodischem Rankenwerk in ein bemerkenswert erfülltes Piano in der Höhe, lässt die Gischt kurzer, sanfter Staccati in filigranem Schaum zerstieben. Die Sinnlichkeit ihres Legatos erinnert an Tschaikowsky; dazu zittern die Orchesterviolinen wie von einem Sommerwind bewegt. Jaffé holt die erlesen-poetische Schönheit dieser musikalischen Linien und Ornamente ein – und lässt ganz nebenher nicht spüren, welche enormen technischen Probleme Griffe und Bogenführung, Lagenspiel und Tongebung der Solistin aufgeben. In der originalen Kadenz des ersten Satzes muss sie bis zur Dreistimmigkeit gehen und meistert auch diese Aufgabe ohne Anflug hörbarer Anstrengung.

„Jugendstil“ also: Rankende Modulationen, allmähliche Mutationen von Motiven, Verschlingungen, Aufblühen und Versinken, manchmal auch wuchernde Steigerung in scheinbar endlosen Imitationen; Naturlaute in der Begleitung der (freilich manchmal plumpen) Bläser, feine Lichtwechsel, ferne Horn- und freundlich-sanft ersterbende Klarinettenklänge – all das erinnert an die geheimnisvollen Frauen eines Alfons Mucha, die dem Betrachter aus Blättern und Blumen entgegenwachsen. Dieses Konzert, bei dem man allenfalls das Fehlen dezidierter Kontraste der Sätze untereinander kritisieren könnte, verdient es, ins Repertoire aufgenommen zu werden.

Wie bereichernd die Musik Wolffs für uns sein kann, zeigte die kluge Zusammenstellung des Konzertprogramms: GMD Heiko Mathias Förster hatte es der Siebten Sinfonie Gustav Mahlers vorangestellt. Was bei Wolff noch in ungebrochener Schönheit blüht, verwandelt sich bei Mahler in dunkel-wehmutsvolle Erinnerung; wo Wolff ganz bei sich ist im innigen Gefühl, brechen Mahlers Klänge auseinander, zerreißt das duftige Gewebe, wird die Idylle zum Zitat. Was bei Wolff noch inneren Zusammenhalt genießt, fliegt bei Mahler in Fetzen vorbei.

Für die Neue Philharmonie, die bei Wolff an einigen Stolpersteinen nicht vorbeigekommen war, geriet die Siebte zur Probe auf orchestrales Niveau, der sie nicht ausweichen musste. Es gab glänzende Stellen, etwa bei den Celli, und ungeachtet einiger Ausrutscher einen untadeligen Klang. Förster dirigierte mit klaren Zeichen, stets wach für die „Schaltstellen“ der Musik. Aber die preußische Präzision hat auch ihren Haken: Sie lässt die Übergänge steif werden, nimmt der Phrasierung ihre flexible Form, macht das Metrum mechanisch.

Schon im ersten Akt stehen Klanggruppen unverbindlich nebeneinander, stellt sich die Mahler’sche Zerrissenheit nicht ein. Das Changieren zwischen Idylle und Düsternis im zweiten Akt fangen Förster und seine Leute ein; auch die bizarren Episoden des dritten Satzes gelingen. Doch dem letzten Satz mit seiner verlogen-triumphalen Geste fehlt der doppelte Boden. Da lässt Förster auftrumpfen, aber in Glanz und Gloria fehlt das falsche Gleißen. Und damit eine entscheidende Dimension dieses bestürzenden Mahler-Ungetüms.

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Über Werner Häußner

Redakteur, Musikkritiker, schreibt u.a. für WAZ (Essen), Die Tagespost (Würzburg), Der Neue Merker (Wien) und das Online-Magazin www.kunstmarkt.com.
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1 Antwort zu Musikalischer Jugendstil: Sophia Jaffé mit Erich J. Wolffs Violinkonzert

  1. WIE ES ZUR WIEDER-(UR-)AUFFÜHRUNG vON ERICH J. WOLFFS VIOLINKONZERT KAM

    In Werner Häußners sehr trefflicher Rezension werde ich als musikalischer „Schatzgräber“ bezeichnet, was grundsätzlich zutreffen mag.
    Was aber Erich Jaques Wolff und sein Violinkonzert angeht, so will ich mich aber nicht mit fremden Federn schmücken (lassen).

    Erich J. Wolffs Werke wurden mir durch die amerikanische Sopranistin Rebecca Broberg nahe gebracht. Sie kannte einige Lieder Wolffs durch eine ihrer Lehrerinnen in den Staaten. In einige Liederabenden in Deutschland hat Rebecca Broberg dann Lieder von Erich J. Wolff integriert. Dies hat sich in einer ersten, durch das pianopianissimo-musiktheater produzierten Doppel-CD – gekoppelt mit Zemlinksy-Vertonungen – mit Rebecca Broberg und Hans Martin Gräbner niedergeschlagen („Märchenträme – Furchtbar schlimm! CTH 2562/2)
    Dieser CD-Produktion folgten zwei weitere mit Gesängen, Liedern und Melodramen von Erich J. Wolff, sowie mit einigen seiner Köavierwerke für zwei und vier Hände („Zauberdunkel und Lichtazur“, CTH 2585 und „Ein solcher ist mein Freund“ CTH 2586).

    Auch die vermutlich einzige noch vorhandene Partitur des im Original verschollenen Violinkonzerts in der ersten Druckausgabe aus dem Jahre 1909 hat Rebecca Broberg in den Staaten entdeckt.

    Fasziniert von dieser Komposition, habe ich Wolffs Opus 20 mehreren Dirigenten vorgeschlagen, – aber zunächst ohne Erfolg.
    Als ich die Partitur jedoch dem Intendanten der Neuen Philharmonie Westfalen, Herrn Stephan Popp zeigte, war der sofort begeistert und meinte, das sei etwas für Sophia Jaffé; er wolle das Werk seinem GMD Heiko Mathias Förster für 2012/13 vorschlagen.
    So kam es dann zur Planung der Konzerte und zu meiner Neuedition von Partitur und Stimmen bei Ries & Erler; dabei war mir Lars J. Lange der wichtigste Helfer.

    Stephan Popp hat es auch geschafft, Christoph Held beim WDR für das Werk zu begeistern, so dass die dritte Aufführung am 23. Oktober live in WDR 3 übertragen wurde.

    Leider aber hatte der Moderator der Rundfunk-Übertragung, Walter Liedtke, weder meine diversen Publikationen zu Wolff, noch die Partitur des Violinkonzerts (und mein Vorwort darin) für seine Moderation herangezogen; daher hat er offenbar schlichtweg geraten, „J.“ könnte die Abkürzung für „Julius“ sein, – peinlich, angesichts der brillanten Wiedergabe von Erich Jaques Wolffs Violinkonzert durch Sophia Jaffé, Heiko Matthias Förster und die Neue Philharmonie Westfalen!

    Peter P. Pachl

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