Manches, was immer und immer wieder als reviertypisch hervorgekramt wird, kann einem auf Dauer ein bisschen auf den Geist gehen. Grönemeyers Liedgut beispielsweise. Die ewige Rivalität zwischen Schalke und dem BVB. Die alljährlich abgefeierte Büdchenkultur. Oder die Currywurst. Doch im Grunde ist uns all das ans Herz gewachsen, oder etwa nicht?
Seit Jahrzehnten wird im Ruhrgebiet medial auf Biegen und Brechen darauf hingearbeitet, dass die Currywurst im Revier erfunden worden sei – und nicht in Berlin. Ein neues Buch soll jetzt „endgültig“ Klarheit bringen, ist passenderweise im Klartext-Verlag erschienen und heißt „Alles Currywurst – oder was?“
Da sich der Klartext-Verlag in Essen befindet, ist die Stoßrichtung vorgegeben. Wir wollen ja hier nicht spoilern, aber dreimal darf man raten, ob Berlin oder das Revier im Jahr 1936 die Nase vorn hatte. Auch Bückeburg und Hamburg müssen hintanstehen. Die beiden Autoren (siehe unten) berufen sich auf hartnäckige Recherchen, Gespräche mit Zeitzeugen und aussagekräftige Dokumente. Also so, als ginge es wahrhaftig ums große Ganze. Und es geht ja auch um die Wurst. Bange Frage: Müssen wir jetzt mit einem harten Konter aus Berlin rechnen? Ha, kommt nur ran!
Geschichte und Geschichten dieser kulinarischen Spezialität werden nicht durchgängig erzählt, sondern quasi lexikalisch aufbereitet, was viele, viele Kurzbeiträge nach sich zieht. Als Lesende(r) wird man keineswegs überfordert, sondern mit flockiger Schreibe allzeit bei Laune gehalten. Wir erinnern uns: Der 1983 von Ludger Claßen im anderen Geiste gegründete Klartext-Verlag gehört seit einigen Jahren zur Funke-Mediengruppe (Essener Flaggschiff: WAZ), wo derlei lockere Stilistik ebenfalls vielfach gepflegt wird.
Von A wie Airline bis Z wie Zusatzstoffe oder Zwiebeln reicht das currywurstige Alphabet, in dessen Verlauf eigentlich alles abgegrast (oder besser: verbraten) wird, was irgend mit der Currywurst zu tun hat oder haben könnte. Unterwegs werden auch Fragen angeschnitten, mit denen nicht unbedingt zu rechnen war, etwa: Welcher Wein passt am besten zur Currywurst? Rümpft da jemand das feine Verkostungs-Näschen?
Doch natürlich spielen Phänomene, an die man bei Stichwort Currywurst sogleich denkt, die Hauptrollen. Duisburgs legendärer „Tatort“-Berserker Schimanski beispielsweise. Oder die natürlichen Begleiter der Wurst: Pommes! Wat sons‘? Globale Vielfalt ist auch mit drin: Das garantieren die schier endlos zu variierenden Curry-Mischungen.
Die beiden Autoren grillen nicht ausschließlich auf Revierfeuer. Der erfahrene Gastronom Tim Koch ist gebürtiger Hamburger, trägt jedoch, wie auf dem Cover verraten wird, als Unterarm-Tattoo eine Currywurstschale. Sein Mitstreiter Gregor Lauenburger ist alteingesessener Duisburger und arbeitet hauptberuflich als Seelsorger an einem Essener Gymnasium. Da sieht man mal wieder, wie die Currywurst verschiedene Menschen lukullisch vereint.
Rankt sich nicht gar eine ganze Philosophie um diese volkstümliche Speise? In der Literatur ist sie jedenfalls längst angekommen. Im Verzeichnis der weiterführenden Bücher findet sich selbstverständlich auch Uwe Timms Novelle „Die Entdeckung der Currywurst“ (1993), die 2008 verfilmt wurde und Hamburg als Ursprungsort ausmacht.
Und jetzt? Haben wir wohl ein neues, leichthändiges Standardwerk zum Thema.
Tim Koch & Gregor Lauenburger: „Alles Currywurst – oder was? Die ganze Wahrheit über das Kultobjekt“. Klartext-Verlag, Essen. 176 Seiten. 9,95 Euro.