„Neues aus der Anstalt“: Wahnwitz mit Methode

Die Tage werden schon wieder kürzer, doch beim Fernsehen machen sie jetzt alle Sommerpause – so auch Urban Priol und Frank-Markus Barwasser mit „Neues aus der Anstalt“ (ZDF). Nun haben sie zum vorerst letzten Mal die Politik aus psychiatrischer Perspektive betrachtet. Und diese Art des Zugangs ist nicht einmal sonderlich absurd…

Nur noch 88 Tage sind es bis zur Bundestagswahl. Da stand zu befürchten, dass Urban Priol sich abermals mit relativ fruchtlosen Parodien an Angela Merkel abarbeiten würde. Doch diesmal hielt er sich in der Hinsicht merklich zurück. Das war eine kluge Entscheidung.

An Themen mangelt es wirklich nicht

Es gibt in diesen Tagen und Wochen ja auch wahrlich noch ein paar andere Themen – von Brasilien bis zur Türkei, vom ach so „selbstlosen“ Karstadt-Investor Nicolas Berggruen (den Priol höchstselbst einseifte) bis hin zum Fall Mollath. Die kaum glaubliche Geschichte des Mannes, der sich – höchstwahrscheinlich zu Unrecht – seit Jahren in der Psychiatrie befindet, ist geradezu ein passgenaues Thema für eben diese Sendung. Wie Frank-Markus Barwasser alias „Pelzig“ das wahnwitzige Geschehen auf einer Schautafel darstellte, das war der absolute Höhepunkt dieser Ausgabe. Manchmal ist die so genannte Realität irrsinniger als jede Satire. Der Wahnsinn hat Methode.

Urban Priol (links) und Frank-Markus Barwasser in "Neues aus der Anstalt" (Foto: © ZDF/Tobias Hase)

Urban Priol (links) und Frank-Markus Barwasser in „Neues aus der Anstalt“ (Foto: © ZDF/Tobias Hase)

Wut als neue „Krankheit“

Leitlinie war diesmal ein neues Psychiatrie-Handbuch, in dem Wut als neue seelische Krankheit definiert wird; ganz im Sinne der Pharmaindustrie. Doch wer wird angesichts gewisser gesellschaftlicher Zustände nicht wütend werden wollen? So viel Valium konnte Priol gar nicht schlucken, um sich über die Verhältnisse zu beruhigen. Diesem öffentlich-rechtlichen Wutbürger stehen ja ohnehin die Haare stets zu Berge. Sein Telefonat als hessischer Landesvater mit dem türkischen Ministerpräsidenten Erdogan (über den Umgang mit aufsässigen Bürgern) war abgründig witzig und lebte natürlich auch von der Mundart, die Priol eben bis ins Feinste beherrscht.

Georg Schramm fehlt schmerzlich

Im Großen und Ganzen hält man sich ans gute alte Nummernkabarett, das freilich hie und da auch ein wenig abgestanden wirkt. Immerhin kommen sehr verschiedene Formen des Humors zum Zuge. Zwischen einem Jochen Malmsheimer und dem Franzosen Alfons liegen Welten.

Allerdings muss man immer wieder feststellen: Der geniale Georg Schramm fehlt nach wie vor. Diesen Verlust kann die Sendung einfach nicht verschmerzen. Eigentlich kein Wunder, dass es (mehr als) Gerüchte gibt, auch Priol und Barwasser könnten gegen Ende des Jahres aussteigen – aus welchen Gründen auch immer. Man kann nur hoffen, dass das ZDF für diesen Fall ebenbürtigen „Ersatz“ findet.

Doch gemach! Erst einmal sehen wir die jetzige Besetzung am 27. August wieder – rechtzeitig vor den Bundestagswahlen.

(Der Beitrag ist zuerst bei www.seniorbook.de erschienen).

image_pdfPDF öffnen / Open PDFimage_printDrucken / Print
Visited 13 times, 1 visit(s) today

Über Bernd Berke

Langjähriger Kulturredakteur bei der Anfang 2013 verblichenen Westfälischen Rundschau (Dortmund), die letzten elf Jahre als Ressortleiter. Zwischenzeitlich dies und das, z. B. Prosaband „Seitenblicke" (edition offenes feld, 2021), vereinzelt weitere Buchbeiträge, Arbeit für Zeitschriften, diverse Blogs und andere Online-Auftritte. Seit 2011 hier. Und anderswo. Und überhaupt.
Dieser Beitrag wurde unter Fernsehen und Hörfunk, Politik und so, Scherz, Satire, Ironie abgelegt und mit , , , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

1 Antwort zu „Neues aus der Anstalt“: Wahnwitz mit Methode

  1. Bernd Berke sagt:

    Heute meldet der Online-Auftritt der „Süddeutschen Zeitung“ das baldige „Aus“ für Priol und Barwasser:
    http://www.sueddeutsche.de/medien/wechsel-bei-neues-aus-der-anstalt-priol-und-barwasser-wollen-nicht-mehr-1.1706467

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert