„Der Drachenläufer“: Im Land der Finsterlinge

Drachen steigen lassen und dem Geflatter hoch dort oben zuschauen – welch unschuldiges Spiel der kleinen Freiheit. Doch selbst das haben die Taliban seinerzeit in Afghanistan untersagt.

Damit sind die Sympathien natürlich gleich klar verteilt. Wer immer sich gegen derlei religiös bemäntelten Wahn auflehnt, gehört fraglos zu den Guten. Marc Forster („Monster’s Ball”) hat Khaled Hosseinis internationalen Buchbestseller „Der Drachenläufer” verfilmt und tut sich schwer, angesichts dieser Ausgangslage einen Spannungsbogen zu erzeugen.

Erzählt wird die Geschichte zweier Menschen, die wir anfangs 1978 als kleine Jungs in den Straßen von Kabul kennenlernen – noch vor der sowjetischen Invasion in Afghanistan. Da überwiegen noch „westliche” Sitten. Man tanzt, trinkt und flirtet. Amir und Hassan heißen die ungleichen Freunde. Amir ist Sohn eines wohlhabenden, freidenkerischen Vaters. Hassan ist gleichsam als Diener und überdies als Angehöriger einer weithin verachteten ethnischen Minderheit ins Haus gekommen.

Gemeinsam lassen sie Drachen steigen und gewinnen dabei einen großen Wettstreit. So innig sind sie befreundet, dass sie von einer miesen Straßengang bedroht werden (deren Anführer später ein übler Taliban wird). Doch dann lässt Amir seinen Freund in einer Notlage schmählich im Stich und denunziert ihn auch noch. Dieser Hassan ist so demütig, dass er noch die andere Wange hinhält. Fast schon ein kleiner Heiliger.

Als die Taliban die Macht ergreifen, geht Amir mit seinem Vater ins US-Exil, macht sein Examen, heiratet, wird Schriftsteller. Den Freund aus Kindertagen hat er längst aus den Augen verloren. Doch diese kalifornischen Episoden sind nur das Zwischenspiel. Die Probe auf mannbare Standfestigkeit und Edelmut kommt erst noch.

Zufall über Zufall in der oft vernehmlich knirschenden Konstruktion: Gerade als Amirs erstes Buch druckfrisch vorliegt, erreicht ihn ein dringlicher Anruf aus Pakistan. Es ist eine unabweisbare Botschaft aus der keineswegs abgeschlossenen Vergangenheit.

Beschwerliche, gefährliche Reise: Amir kommt – mit falschem Bart getarnt – zurück ins zerstörte, just von vollbärtigen Finsterlingen beherrschte Kabul. Hier kann er (rund 20 Jahre „danach”) einen Teil seiner alten Schuld abtragen, indem er wenigstens Hassans kleinen Sohn aus einem erbärmlichen Waisenhaus rettet. Im Grunde ein zwiespältiger Vorgang: Ein einziger Junge wird aus dem Elend geholt (besser als keiner, gewiss), um hernach allmählich an den Segnungen Amerikas zu genesen . . .

Der 128 Minuten lange, in den USA und in China gedrehte Film enthält manche Passagen, die den Kontrast zwischen westlichem Wohlleben und dumpfer afghanischer Schreckensherrschaft sozusagen mit breitem Pinsel ausmalen – bis hin zu einer Szenenfolge im verrotteten Fußballstadion von Kabul, wo nach lustlosem Kicker-Vorspiel eine Ehebrecherin gesteinigt wird. Obwohl man an solchen Stellen zutiefst erschrickt, wird man das Gefühl nicht los, dass es auch wohlfeile Genrebilder sind.

Aufdringlich wirken zudem die Leitmotive, die allemal auf eine universelle Gültigkeit der Geschichte ausgerichtet sind. Winke mit Zaunpfählen: Das Drachenfliegen muss partout immer wieder aufgegriffen werden, ebenso der schwerstens bedeutsame Schuss mit einer Steinschleuder. Hier hat eben alles mit allem zu tun, und die symbolträchtigen Vorgänge wabern etwas ermüdend hin und her.

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Über den Regisseur:

  • Marc Forster (38) wurde als Sohn eines deutschen Arztes und Pharmaunternehmers in Illertissen bei Ulm geboren. Aufgewachsen ist er im schweizerischen Davos.
  • Ab 1990 studierte er an der Filmschule der New York University. Er schrieb Drehbücher und bemühte sich lange Zeit mit wenig Erfolg um Aufträge.
  • Sein Durchbruch begann 2000 mit dem Umzug nach Los Angeles.
  • Schon sein zweiter Kinofilm „Monster’s Ball” bescherte Hauptdarstellerin Halle Berry einen Oscar.
  • Es folgten u. a. „Wenn Träume fliegen lernen” und „Schräger als Fiktion”.
    Derzeit arbeitet Forster am neuen „Bond 22” (Arbeitstitel).
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Über Bernd Berke

Langjähriger Kulturredakteur bei der Anfang 2013 verblichenen Westfälischen Rundschau (Dortmund), die letzten elf Jahre als Ressortleiter. Zwischenzeitlich dies und das, z. B. Prosaband „Seitenblicke" (edition offenes feld, 2021), vereinzelt weitere Buchbeiträge, Arbeit für Zeitschriften, diverse Blogs und andere Online-Auftritte. Seit 2011 hier. Und anderswo. Und überhaupt.
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