Die Selfmade-Sopranistin: Anne Schwanewilms singt Liederabend in Essen

Hochgewachsene Diva: Die Sopranistin Anne Schwanewilms (Foto: Javier del Real)

Hochgewachsene Diva: Die Sopranistin Anne Schwanewilms (Foto: Javier del Real)

„Alle dachten, ich spinne, und viele waren auch sauer.“ Als Anne Schwanewilms um das Jahr 2001 herum beschloss, sich vom schweren Wagner-Fach zu lösen und in einen Strauss-Sopran zu verwandeln, muss sich diese Entscheidung ziemlich einsam angefühlt haben. Dabei strebte die Stimme der gebürtigen Gelsenkirchenerin über die Jahre immer weiter nach oben.

Ihr Studium begann sie als Kontra-Alt, dann fühlte sie sich als Alt heimisch. Mitte der 90er Jahre war sie bereits ein hoher Mezzo, und ihr Lehrer Hans Sotin meinte, so solle es bleiben. Aber Anne Schwanewilms arbeitete weiter. Entdeckte neue Resonanzräume im Kopf, die plötzlich mitschwangen. Schlug Top-Angebote als Brünnhilde und Elektra an großen Opernhäusern aus, wechselte den Agenten, durfte 2006 erstmals die Feldmarschallin im Rosenkavalier singen. Heute gilt die gelernte Floristin als eine der großen Strauss-Interpretinnen unserer Zeit. Aber auch Wagner ist in ihrem Repertoire verblieben: Im April 2014 singt sie die Partie der Elsa am Teatro Real von Madrid. Im Mai folgt Verdi, die Desdemona aus „Otello“ an der Oper Köln.

Mit Liedern von Gustav Mahler, Franz Liszt und Richard Strauss gastierten Anne Schwanewilms und der Pianist Charles Spencer jetzt in der Philharmonie Essen. Bei ihrem Auftritt im leider nur schwach besetzten Alfried Krupp Saal irritiert die hochgewachsene Diva zunächst durch eine beinahe schulmädchenhafte Ausgelassenheit. Übermütig winkt sie Bekannten im Publikum zu, schneidet dazu lustige Gesichter, als wäre dieser Abend keine sonderlich ernst zu nehmende Angelegenheit. Mit dieser ausgesprochen unernsten Attitüde geht sie die ersten Lieder aus „Des Knaben Wunderhorn“ an, überzeichnet die satirisch-humorvollen Verse mit ausgeprägter Mimik bis zur Karikatur. Ihr Ton weist dabei zuweilen Härten auf.

Wärmer und inniger klingt „Ich ging mit Lust durch einen grünen Wald.“ Hier blühen erstmals ihre schmeichelnden Legato-Bögen auf, entschwebt ihr äußerst kontrolliert geführter Sopran in die Höhe, um vom süßen Sang der Nachtigall zu erzählen. Charles Spencer unterstützt dies am Klavier mit vielsagendem Nocturne-Klang.

Im leider immer noch viel zu wenig bekannten Liedschaffen von Franz Liszt schwindet dann der letzte Hauch von Härte. Jetzt breitet Anne Schwanewilms großzügig aus, was ihre Stimme an Farben und Glanz zu bieten hat. Süße Flöten und Stimmen der Engel, die den Fischerknaben aus Schillers „Wilhelm Tell“ in tödliche Wassertiefen ziehen wollen, wechseln mit der Wehmut des Hirten über den scheidenden Sommer. Bezwingend formt sie das Drama um „Die Loreley“ nach dem berühmten Gedicht von Heinrich Heine zu einem Ring, an dessen Anfang und Ende die Wasser des Rheins ruhig dahin strömen. Dicht- und Vokalkunst fließen da in eins, erzeugen Bilder von betörender Magie und mythischer Kraft.

Noch einmal zeigt Schwanewilms sich als Mahler-Interpretin: gießt Gift in den Volksliedton des „Rheinlegendchens“, lässt dem todtraurigen Abschied in „Wo die schönen Trompeten blasen“ das ätzende „Lob des hohen Verstandes“ folgen, das den Esel als Kunstrichter verhöhnt. Die Schlusstakte aber gehören Richard Strauss, dessen „Letzte Blätter“ Anne Schwanewilms mit feinstem Fingerspitzengefühl anfasst. Sei es existenzielle Angst („Die Nacht“), verhaltene Wut („Geduld“) oder tiefe Trauer („Allerseelen“): Die Sängerin trifft genau die leisen Zwischentöne, die derlei Emotionen schmerzlicher machen als jede laute Klage. In den glutvollen Samt ihres Soprans gebettet begegnen uns stille Noblesse, zurückhaltende Würde, wissendes Mitleid. Das ist ein Geschenk.

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