Besessene Musizierlust: Leonidas Kavakos und Enrico Pace in der Philharmonie Essen

Leonidas Kavakos, geboren 1967 in Athen, zählt zu den gefragtesten Geigern unserer Zeit. (Foto: Decca/Daniel Regan)

Leonidas Kavakos, geboren 1967 in Athen, zählt zu den gefragtesten Geigern unserer Zeit. (Foto: Decca/Daniel Regan)

Kein Glamour, kein Starkult, kein Spektakel. Leonidas Kavakos blickt beinahe ein wenig mürrisch drein, als er die Bühne der Philharmonie Essen betritt. Der berühmte griechische Geiger wirkt wie ein Mönch der Musik.

Über seiner schlichten schwarzen Kleidung hebt sich ein Gesichtsoval ab, das neben Konzentration auch die Skepsis eines Menschen spiegelt, der in der Kunst nach Wahrheit sucht. In der Hand hält er die kostbare „Abergavenny“-Stradivari, erbaut im Jahr 1724, benannt nach einem walisischen Örtchen, dessen Domherr einer der Vorbesitzer des Instruments war.

Seit drei Jahren lebt und arbeitet Kavakos mit dieser Violine. Auf ihr hat er die Gesamtaufnahme von Beethovens Violinsonaten eingespielt, für die er Anfang Oktober 2013 den ECHO-Klassik als „Instrumentalist des Jahres“ entgegen nahm. Die kongeniale Leistung seines Klavierpartners Enrico Pace fiel bei der Einteilung in diese Kategorie freilich unter den Tisch. Wie ungerecht das ist, kann jeder erfassen, der das Duo jetzt in Essen erlebt hat. Kavakos und Pace musizieren wie eine unzertrennliche Einheit. Ihr Spiel erreicht eine Dichte, die viel mehr ist als der Zusammenklang zweier Teile. Ihre furiose Detailbesessenheit wird nie zum Selbstzweck, sondern zielt auf eine Interpretation, die diesen Namen verdient.

So wird Ludwig van Beethovens 7. Violinsonate c-Moll zu einem Dokument vehementer Bedrängnis. Kavakos lädt das Kopfthema mit einer bebenden, schier atemlosen Intensität auf. Pace lässt die hastigen Wechselnoten in der Bassregion dazu flackern wie fernes Wetterleuchten. Stets lauert Explosives hinter dem Lyrischen, droht sprühender Esprit umzuschlagen in ruppigen Ingrimm. Aber dann ist da das Adagio cantabile, das Kavakos und Pace ganz sotto voce gestalten, introspektiv und mit großem Atem. Die Mittellage der Stradivari enthüllt dabei eine warme Goldfarbe nach der anderen. In den Schlusstakten aber haucht Kavakos die Melodie dahin, als sei sie vom ersten Frost überzogen. Pace entrückt die begleitenden Läufe zu einem feinen Murmeln.

Maurice Ravels „Sonate posthume“, ein Klangwunder voll träumerischer Farben, strömt bei Kavakos und Pace dahin wie ein langer Sommerabend. Violinton und Klavierklang vermischen sich, bis sublimste Stimmungen und Bilder entstehen. Lichtstrahlen lösen sich ins Ätherische auf, Blätter wiegen sich sanft in der Brise, der Himmel zeigt jedes nur erdenkliche Farbspiel. Kavakos und Pace begegnen dem französischen Raffinement mit größtem Fingerspitzengefühl. Mag vieles noch so einschmeichelnd samtig, rauchzart und schwärmend klingen, so fährt zuweilen doch ein herber Windstoß dazwischen, der von Kühle und Dunkelheit kündet. In Claude Debussys Sonate gesellen sich quecksilbrige, zuweilen auch eisige Töne hinzu. Das Duo glänzt hier mit koboldhafter Beweglichkeit, die unberechenbar ist und zuweilen nicht ohne Drohung.

Eine Rarität des Repertoires gönnt uns das Duo zum Abschluss mit Ottorino Respighis Sonate h-Moll für Violine und Klavier: ein seltsam zerklüftetes Werk, das sich wie taumelnd durch die Tonsprache der Spätromantik bewegt. Es braucht fürwahr Interpreten mit Überblick, um in diesem Gewirr nicht den Weg zu verlieren oder ins Sentiment abzugleiten. Noch einmal spielen Kavakos und Pace ihre ganze Meisterschaft aus. Ihre überlegene und intelligente Gestaltungskraft hilft, das sperrige Werk zu erschließen. So unvermittelt Momente düsterer Vehemenz auch neben Inseln der Ruhe stehen mögen, dieses fantastische Duo hat nie ein Glaubwürdigkeitsproblem. Nie wird sein Klang dick und undurchsichtig; zu keiner Zeit lässt seine besessene Musizierlust den Hörer los. Das setzt Maßstäbe: unglamourös, aber unverrückbar.

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