Der große Überdruss: Mankells nachgereichter Wallander-Krimi „Mord im Herbst“

Schon lange hat Kurt Wallander zwei, nein eigentlich drei Wünsche: ein Haus auf dem Lande, einen Hund und, er wagt es kaum zu formulieren, eine Frau, die ihn, den oft griesgrämigen Polizisten aus Ystad, liebt und ihm behilflich ist, die Tücken des Alters zu ertragen.

Seine erste Ehefrau hat ihn schon lange verlassen. Mit seiner Tochter wechselt er, obwohl sie noch immer bei ihm wohnt, kaum zwei Worte am Tag. Jetzt, wo die Herbststürme über die hügelige Landschaft von Schonen peitschen und Wallander in seinen knackenden Knochen spürt, dass der Winter seines Lebens nicht mehr fern ist, will er dringend noch einmal seinem tristen Dasein einen letzten neuen Dreh geben.

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Aber als der Kommissar hinausfährt und ein zum Verkauf stehendes Haus besichtigt, stolpert er im Garten über eine skelettierte Hand, die aus dem Boden ragt. Die sofort anrückenden Kollegen finden, als sie den Garten umgraben, die Überreste von zwei Leichen, die seit vielen Jahren dort vergraben waren. Statt Ruhe in ländlicher Idylle erwartet Wallander also doch nur wieder harte Arbeit.

Ein neuer Fall also. Hatte nicht Henning Mankell vor einigen Jahren behauptet, „Der Feind im Schatten“ sei definitiv der letzte Roman über den schwedischen Polizisten Kurt Wallander? Und waren dabei nicht, während Wallander sich im Gestrüpp einer politischen Affäre fast verlor, am Horizont die ersten Anzeichen einer Demenz erkennbar und war nicht das Abtauchen in das endgültige Vergessen nur noch eine Frage weniger Monate oder Jahre?

Für Wallander gibt es keine Rettung, daran wird sich wohl nichts ändern. Denn der Roman „Mord im Herbst“ ist chronologisch vor dem letzten Wallander-Krimi angesiedelt, spielt im Jahre 2002 und wurde bereits 2004 veröffentlicht. Allerdings bislang nur in den Niederlanden. Henning Mankell hatte den Plot eigens für eine Aktion geschrieben, bei der jeder holländische Leser, der in einem bestimmten Monat einen Kriminalroman kauft, noch ein weiteres Buch gratis dazu bekommt.

Deutsche Fernsehzuschauer werden trotzdem das Gefühl haben, die Geschichte irgendwie zu kennen: Denn der – im Gegensatz zu allen anderen Wallander-Krimis – eher schmale Roman wurde heftig geplündert und diente später der BBC als Grundlage für ein Drehbuch zu einem Film mit Kenneth Branagh in der Rolle des Kurt Wallander. Aber Vorsicht: Die TV-Version von „Ein Mord im Herbst“ hat sich nur ein paar Ideen herausgeklaubt, bei der Suche nach der Wahrheit, der Identität der Opfer und des Mörders geht der Roman ganz andere Wege. Diese Wege sind verschlungen und reichen weit in die Vergangenheit zurück. In die Zeit, als der Zweite Weltkrieg sich dem Ende zuneigte und auch in Schweden, wo viele Flüchtlinge strandeten, die nirgends registriert wurden und die gelegentlich auch auf Nimmerwiedersehen spurlos verschwanden, das reinste Chaos herrschte.

Der Fall selbst ist nicht besonders spektakulär und im Grunde durch hartnäckige Routinearbeit und staubige Archiv-Recherchen zu lösen. Die Würze und Spannung des Romans besteht diesmal eher in seiner gedanklichen Klarheit und sprachlichen Verknappung. Während Mankell sich sonst gelegentlich selbstverliebt in Details verliert und die Wallander-Romane mit falschen Fährten und zwischenmenschlichen Problemen gehörig aufplustert, konzentriert er sich hier ganz auf die spröde Gedankenwelt des muffeligen Kommissars.

Deutlich spürbar ist, dass Wallander vieler Alltäglichkeiten überdrüssig ist und bald keine Lust mehr haben wird, den Rest seines verkorksten Lebens mit Mordermittlungen zu verbringen. Am Ende des melancholischen Buches ist der Mörder zwar bekannt. Aber der Winter ist vollends nach Schonen gekommen. Ein Haus, einen Hund und eine Frau hat Wallander immer noch nicht.

Henning Mankell: „Mord im Herbst“. Ein Fall für Kurt Wallander. Mit einem Nachwort des Autors. Aus dem Schwedischen von Wolfgang Butt. Paul Zsolnay Verlag, Wien 2013, 143 Seiten, 15,90 Euro.

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