Bilder einer aufstrebenden Gesellschaft – Recklinghausen zeigt Ikonen aus Varna

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Der Heilige Joseph, der halbwüchsige Christus und reichlich Schreinerwerkzeug. Die Ikone der Schreiner-Innung entstand um 1850 in Bulgarien. (Foto: Ikonen-Museum Recklinghausen)

Hier ist er der Mittelpunkt: Joseph, Ehemann von Maria und, wie man das immer etwas verschämt nennt, Ziehvater des Jesusknaben. Wegen göttlich herbeigeführter Jungfrauenschwangerschaft war er ja nicht der biologische Vater. Mitte des 19. Jahrhunderts jedoch hat man sich in Varna seiner angenommen und ihm in einer großen Ikone den Ehrenplatz zugewiesen.

Und da steht er nun, wallend das Gewand, doch bescheidend schauend, einen Zollstock in der Hand. Rechts im Bild und wesentlich kleiner ein barfüßiger Halbwüchsiger, den der Heiligenschein als Messias ausweist. Weiter unten im Bild jedoch ist eine Menge Zimmermannswerkzeug zu sehen, Winkel, Zirkel, Hobel, auch ein Töpfchen Nägel. Diese Dinge machen die Wertschätzung verständlich, die dem guten Josef hier zuteil wird: Auftraggeber des Werkes nämlich war im Jahre 1850 die Schreinergilde von Varna, die im Lobpreis ihres Schutzpatrons auch noch ein wenig Werbung in eigener Sache unterbrachte.

Der zu späten Ehren gelangte Heilige Josef ist jetzt im Recklinghäuser Ikonenmuseum zu bewundern, eine von etlichen Leihgaben des Ikonenmuseums in Varna, Bulgarien. „Wunder des Lichts“ heißt die kleine, aber vorzügliche 40-Bilder-Schau, die in ähnlicher Zusammenstellung zunächst im niederländischen Dordrecht zu sehen war. Dordrecht ist Partnerstadt von Recklinghausen ebenso wie von Varna am Schwarzen Meer, über einige gute städtepartnerschaftliche Kontakte kam das Projekt zustande.

Osmanen respektierten den orthodoxen Glauben

Die Tradition des orthodoxen Christentums der Bulgaren ist alt. Kyril und Method, beide auch heute noch verehrt, missionieren das slawische Volk schon lange vor der ersten Jahrtausendwende. Auch später, während der 500 Jahre währenden Osmanen-Herrschaft, die erst im 18. Jahrhundert ihr Ende findet, behalten die Bulgaren ihren orthodoxen Glauben.

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In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts malte der Bulgare Vionos die Heilige Marina mit Szenen aus ihrem Leben (Foto: Ikonen-Museum Recklinghausen)

Dann jedoch – der osmanische Sturm auf Wien ist abgewehrt, das adelige Europa gefällt sich in pompösem Barock – bricht neues nationales Selbstbewusstsein sich Bahn, das seinen Ausdruck auch in der Ikonenkunst findet. Großformatige, lichte, farbenfrohe Gemälde vereinigen oft erstaunlich leichthändig rituelle Pflicht, Volksbelehrung und den wachsenden Geltungsdrang einer aufstrebenden städtischen Gesellschaft. Nationalfarben, Patrone, Entstehungsjahre und last not least Namen von Künstlern und Auftraggebern werden den Motiven zugesellt. An die Stelle frommer Statuarik tritt eine oft erstaunliche Individualität. Die heilige Marina aus dem 18. Jahrhundert zum Beispiel, die ein Maler namens Vionos mit Eitempera auf Holz erstehen ließ und die, wie die Legende aus dem 3. Jahrhundert berichtet, trotz schlimmster Folter nicht von ihrem Glauben ließ, bis man sie am Ende köpfte, diese heilige Marina begegnet uns auf der 107 mal 75 Zentimeter großen Tafel in dynamischer, geneigter Körperhaltung und mit einem skeptischen Blick, der aus gesenktem Haupt in die Ferne schweift und Drohendes zu ahnen scheint. Diese Ikone ist personalisiertes Portrait, positioniert vor einem wunderschönen Landschaftshintergrund. 22 kleine Bilder umfassen das Hauptmotiv und berichten en detail vom Martyrium der jungen Frau.

Selbstbewußt und oft auch heiter

Natürlich gibt es auch die üblichen Heiligen zu sehen, Georg, Nikolaus, Petrus und Paulus, den heiligen Dimitrij von Priluki und die heilige Julitta mit ihrem Sohn Kyrikos und viele, viele mehr. Zahlreich sind die Interpretationen Marias. Mal ist sie ausschließlich liebende und tröstende Mutter (wie in einer anonymen Darstellung aus dem 19. Jahrhundert), mal Königin der Königinnen, selbstbewusst und stark vor goldenem Grund, wie der Bulgare Hadji Anagnosti sie 1839 schuf. Gern auch zeigt man sie als „Lebensspendende Quelle“, so wie Mitte des 19. Jahrhunderts Zacharias Tsanjuv. In dessen Bild füllt Heilwasser aus zwei Speiern unter Mariens Thron ein Becken, aus welchem Kranken spontane Heilung zuteil wird. Der Tote erwacht in seinem Bett und wundert sich, der Besessene wundert sich ebenfalls nach Wasserguss, während ein schwarzer Dämon, der offenbar in ihm war, mit rauchender Spur die Flucht ergreift. Man kann wirklich nicht sagen, dass diese Bildergeschichten immer ganz humorfrei wären.

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Das Archäologische Museum Varna. Von hier stammen die Leihgaben, die jetzt in Recklinghausen zu sehen sind. (Foto: Ikonen-Museum Recklinghausen)

Der Katalog zur Ausstellung, wenn man ihn so nennen will, ist in Deutsch und Niederländisch erhältlich und verdient besondere Erwähnung. Weitgehend stammt er aus der Feder der Recklinghäuser Hausherrin Eva Haustein-Bartsch und ihres Varnaer Kollegen Konstantin Ugrinov; er hat Taschenbuchformat und gibt erschöpfend Auskunft über die Ausstellungsstücke und über viele Details, die sich nicht von allein erklären.

  • „Wunder des Lichts. Bulgarische Ikonen aus Varna“
  • Ikonen-Museum Recklinghausen, Kirchplatz 2a, Recklinghausen
  • Bis 14. Juni.2015
  • Geöffnet Dienstag bis Sonntag und feiertags: 11 bis 18 Uhr
  •  Eintritt 6 Euro, Katalog (240 S., 112 farb. Abb.) 15 Euro
  • www.ikonen-museum.com
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