„Naked Lenz“ frei nach Büchner: Nackte Jungs im Badezuber

Ich bin fast verzweifelt. Mehr mit mir selbst als durch das Erlebnis im Theater am Abend. Ich hadere mit mir selbst und doch bin ich gleichzeitig aufgeregt – inwendig Getös‘. Das wird sich legen. Bin ich der einzige, der da flau hinausgeht? Bin ich zu alt? Habe ich einen schlechten Tag erwischt?

Okay, man muss im Theaterraum stehen, muss manchmal gehen, um am Ort des Geschehens zu sein oder zu bleiben. Das ist nicht bequem. Aber der Mensch soll gefordert werden angesichts der Kunst.

Naked Lenz. Studio Schauspiel Dortmund. Lenz? Das ist doch Büchner. Ja, aber egal. Wir sehen René Pollesch für Dramaturgen. Sorry, das ist mir so rausgerutscht. In der Mitte der Bühne, umgeben von festgeschnallten Birkenzweigen und –stämmen – eine kleine Bude, schmal, weiß und eng, aus der die Schauspieler flitzen und wieder hinein und wieder hinaus. Text wird verabreicht, reichlich und schnell. Was? Okay, das nächste! Ein muskulöser Schauspieler im Kleidchen auf Pumps, eine Blondine in silbrigem Einteiler aus Mars-Produktion. Es geht ums Schreiben. „Schreibst Du für Geld?“. Gleißendes Licht. Man trinkt Cuba libre und braucht Schirmchen, die in rasantem Hin und Her von einem Schauspieler herangeschleppt werden. Slapstick? Nein, Speedy Gonzales. Runter gepitschte Sounds, dumpf und bedrohlich, nicht erkennbare Videobilder.

Break. Der erste nackte im Birkenwald. Es wird geschrien, was der Verständlichkeit des Textes nur hilft, wenn man weiter weg steht und nichts sieht. „Ein merkwürdiges Netz aus Sexualität, Spionage, Drogen und Literatur“, heißt es im Programm. Cronenberg und Büchner, wild gemixt, Realitäten oder Illusionen? Ich weiß es auch nicht. Ich stehe in der Nähe des Plastikbadezubers, umringt von Handtüchern auf dem Boden. Im Raum steht das Warndreieck „Achtung! Rutschgefahr!“. Der Bademeister steigt auf die Leiter und brüllt in ein Megaphon. Fünf oder sechs Personen im knietiefen Wasser. Und dann soll alles synchron laufen! Megaphongebrüll und Spaß im Bad. „Die haben mal richtig auf die Kacke gehauen“, sagt ein Zuschauer hinterher. Wem es Spaß macht, bitte. Es passiert noch so allerlei. Es wird geraucht in einer kleinen Stehpartyrunde. Rauchen – politisch unkorrekt. Dart im Nebenraum per Video – Pfeile treffen Goethe ohne Gesicht.

Video. Zweimal Dichter solo – George B. mit seinem „Lenz“  und William Lee mit seinem „Naked Lunch“. Die beteiligten des Hauses drumherum haben Freude. Insider- und Probenerfahrungslacher. Und dann sind die Jungs endlich alle nackt und hauen auf die Kacke, sind zusammen im Stehpool, sonnen sich breitbeinig auf dem Boden. „Bald melde ich mich bei „Wetten, dass“ sagt eine Zuschauerin, „Ich erkenne die Schauspieler in Dortmund an ihren Pimmeln.“

Die nackten Jungs machen Jux, sondern Texte ab, die weder ablenken, noch illustrieren, sind aber doch sicher wichtig, oder? Aber da so, so viel los ist, kommt man mit dem Zuhören nicht recht nach. Und es darf nicht fehlen, dass verbal gefickt wird. Nichts Deftiges darf fehlen. So ist sie, die Gesellschaft. Die junge Frau im Silbereinteiler wechselt in ein klassisches Theaterkleid, setzt sich auf die Bar und hält ein kleines Eiscremeschirmchen hoch. Der nackte Dichter sitzt neben ihr und raucht. Und dann das Büchner-Zitat aus „Leonce und Lena“: „Was die Leute nicht Alles aus Langeweile treiben! Sie studieren aus Langeweile, sie beten aus Langeweile, sie verlieben, verheiraten und vermehren sich aus Langeweile und sterben endlich an der Langeweile und – und alles mit den wichtigsten Gesichtern, ohne zu merken warum.“  Dunkelheit. Applaus. Stehende Ovationen – man steht ja ohnehin.

Der Großteil des Publikums ist offenbar sehr zufrieden. Ja, es wurde viel gearbeitet auf der Bühne. Schweiß, Tomatenblut am Arsch, Gebrüll, gebadet, gerannt, gefilmt. Ich fühle mich eher traurig. Wo ist mein Platz in der Gesellschaft? Muss ich den in meinem Alter noch finden, habe ich ihn längst verloren? Zu Hause wartet nicht einmal ein Hund, dem ich mein Leid klagen kann. Ich hab nicht verstanden, was man von mir will? Habe, ach, keine Theaterwissenschaft studiert. Bin auch vom vielen Schauen der letzten Jahrzehnte ausgeleiert. In „Leonce und Lena“ produziert König Peters ‚Denken‘ fortwährend Unsinn. Ich versuche hingegen, mein Hirn zu reinigen, schenke mir ein Glas Rotwein ein und schaue minutenlang auf einen Punkt.

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3 Antworten zu „Naked Lenz“ frei nach Büchner: Nackte Jungs im Badezuber

  1. Bernd Berke sagt:

    Ich? Ihr!

  2. Michaela sagt:

    Also, Bernd, wirklich! Immer hast du nur Bilder im Kopf!

  3. Bernd Berke sagt:

    Da wird wohl manche(r) enttäuscht sein, dass ausgerechnet diese Rezension unbebildert bleibt, gelle?

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