Verloren in der grauen Tiefe – Strindbergs „Fräulein Julie“ im Wuppertaler Schauspielhaus

Von Bernd Berke

Wuppertal. Ein paar karge Podest-Planken bedeuten hier die Welt, ein Bühnenbild im eigentlichen Sinne gibt es nicht. Wer nach bildkräftigem Theater hungert, der findet mit August Strindbergs Dreipersonendrama „Fräulein Julie“ in Wuppertal (Regie: Kathrin Sievers) keine Nahrung.

Grafentochter Julie ist das unechte Adelsdasein leid und will ihre Triebe nicht länger unterdrücken. Dem ebenso virilen wie aufstiegswilligen Kammerdiener Jean ist’s genehm. via Sex auch noch ans Startkapital für eine Hoteleröffnung heranzukommen. Doch finanziell hat Julie leider nichts zu bieten. Also lässt Jean die Gestrauchelte fallen und wendet sich wieder seiner treudümmlichen Alltagsgespielin z, der Köchin Kristin. Julie wählt als düpierte „Domestiken-Dirne“ den Freitod.

Nun könnte der (auch durch Sparsamkeit erzwungene?) Verzicht auf alle optischen Reize für eine Konzentration auf den Text und dessen Wesenskern stehen. Leitgedanke: Nur nichts Überflüssiges, nichts Ablenkendes zeigen. Doch dazu hätte man das Stück ganz anders ergreifen, gliedern oder umwenden müssen. So aber gibt’s weder ein Traumspiel noch harten Realismus, weder kunstvolle Stilisierung noch differenzierte Textauslotung oder Zertrümmerungs-Ästhetik. Dem Ganzen fehlt ein charakteristischer Umriss. Kein Profil, nirgends.

Eine Szene sieht folglich aus wie die andere, das Geschehen verliert sich in der öden grauen Tiefe des Bühnenraumes, nur in ganz raren Momenten rückt es uns etwas näher. Für Sekunden leuchtet da die Utopie eines Liebesverhältnisses jenseits der Standesschranken auf – und erlischt sogleich. Es regt sich kaum ein erotisches Knistern in dieser angeblichen Mittsommernacht und auch kein allmähliches Schweben.

Sascha Icks als Julie im luftigen Tanzkleidchen trippelt zwischen herkunftsgemäßer Strenge und emotionaler Bedürftigkeit nur schemenhaft durch die Rolle. Thomas Braus als Jean gibt erst den devoten Diener mit strategischen Hintergedanken, sodann das reißende männliche Raubtier, doch beides ohne wahre Konturen. Pirkko Cremer als Köchin Kristin wirkt wie ein reichlich naives, folkloristisch getöntes Anhängsel.

Termine: 4., 13., 16., 27. April. Karten: 0202/569-44 44.

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Über Bernd Berke

Langjähriger Kulturredakteur bei der Anfang 2013 verblichenen Westfälischen Rundschau (Dortmund), die letzten elf Jahre als Ressortleiter. Zwischenzeitlich dies und das, z. B. Prosaband „Seitenblicke" (edition offenes feld, 2021), vereinzelt weitere Buchbeiträge, Arbeit für Zeitschriften, diverse Blogs und andere Online-Auftritte. Seit 2011 hier. Und anderswo. Und überhaupt.
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