Von Bernd Berke
Siegen. Eine Ausstellung muss nicht immer mit hundert oder mehr Exponaten aufwarten, um Bedeutsamkeit zu erlangen. Konzentrierter geht’s auch. So wie jetzt in Siegen.
Im Museum für Gegenwartskunst spürt nun eine kleine Schau einigen Strategien, Ritualen und Irrwegen der Identitätsbildung nach. Die Arbeiten von vier Künstlern repräsentieren abermals einen Ausschnitt aus der reichhaltigen Sammlung Schürmann, deren Facetten das Haus am Unteren Schloss immer mal wieder auffächert. Auch andernorts (Ostwall-Museum in Dortmund) pflegt man Teile dieser Kollektion.
In Siegen wahrt man den Proporz: zwei Künstlerinnen, zwei Künstler; zwei in den 40er, zwei in den 60er Jahren Geborene. Ein Geschlechter- und Generationen-Vergleich.
Konfrontiert mit 60 leblosen Puppengestalten
Die spektakulärste Installation stammt von Zoe Leonard (geboren 1961 in New York) und heißt „Mouth open, teeth showing“ – etwa: Mund auf, Zähne zeigen! Derlei Mimik kann freundlichen, aber auch zornigen Beiklang haben. Jedenfalls stehen dem Besucher 60 Puppen gegenüber, die meisten niedlich, manche grotesk. Geordnet sind sie nach strengem Raster, also gar nicht individuell. Doch beim Gang durch ihre Reihen nimmt man Unterscheidungs-Merkmale wahr. Gleichzeitig erweisen sie sich beim näheren Hinsehen umso deutlicher als leblose Puppengestalten. Ein flirrendes Spiel mit der Identität also, die sich mal festigt, mal verflüchtigt.
Natürlich geht es dabei auch mal wieder um spezifisch weibliche Selbstfindung. Etliche Puppen (vom Beginn des 20. Jahrhunderts bis heute, in allen denkbaren Be- und Entkleidungszuständen) haben „spielerisch“ das Selbstbild vieler Mädchen mitgeprägt. Gebrauchsspuren zeugen von täglicher Zuwendung. Andere Exemplaren sind Sammlerstücke für Erwachsene, was weitere Fragen aufwirft: Vielleicht sollten diese Puppen seelische Defizite mildern?
Frühere Identität in drei Pappkartons
Paul McCarthy (geb. 1945 in Los Angeles) hat, derweil seine (frühere) Identität als Künstler „eingemottet“: In drei Pappkartons („The Three Boxes“, 1984) lagern 101 Video-Bänder mit Aufnahmen seiner frühen PerformanceAuftritte. Die Magnetspur ist mittlerweile fast unbrauchbar, zudem gibt es die passenden Alt-Geräte kaum noch. Melancholisches Fazit: Das frühere Dasein ist in mehrfacher Hinsicht museumsreif.
Sylvie Fleury (geb. 1961 in Genf) hat aus britischen Frauenzeitschriften Sprüche derBeauty-Werbung aufgeklaubt und präsentiert sie in großer Schablonenschrift auf hautfarben grundierter Wand. Spürbar wird, wie aggressiv solche Reklame die weibliche Selbstwahmehmung lenkt.
Schließlich Franz West (geb. 1947 in Wien). Vier filigrane, rostig anmutende Stühle, auf die man sich kaum zu setzen wagt, stehen vor einem Bildschirm. Da wird gezeigt, wie man mit zwei nebenan auf Sockeln liegenden Gips-Objekten umgehen könnte. Anfassen erlaubt, spielerisches Abweichen vom „Vor-Bild“ erst recht. Ein kleiner Befreiungsakt auf dem Weg zur eigenen Identität?
Übrigens: Auswärtige Besucher sollten nicht die hochkarätigen Dauerbestände des Museums versäumen. Hier hat Siegen ein ordentliches Pfund zum Wuchern.
Museum für Gegenwartskunst, Siegen (Unteres Schloss 1). Sammlung Schürmann bis 12. Oktober. Di-So 11-18 Uhr.