Verlust der Welt – Vielfältige Medienkunst-Ausstellung „Vom Verschwinden“ in der Dortmunder Phoenixhalle

Von Bernd Berke

Dortmund. Das scheint schon mal paradox zu sein: DieWerke sind alle da, doch sie handeln vom Phänomen des Verschwindens. Nun ja. Mit abwesender Kunst könnte man eben gar nichts darlegen.

Die neue Medienkunstschau in der Dortmunder Phoenixhalle sammelt, vor allem mit Video-Installationen, eine Fülle von gesellschaftlichen Befunden ein. Zwischen Vergangenheit und Zukunft, so ein Leitgedanke, tun sich in so mancher Weltgegend allerlei Zeit- und Sinnlöcher auf, die auf Flüchtigkeit, Verlust oder Vernichtung hindeuten. Ein weites Feld.

Die Halle auf dem früheren Hoesch-Gelände ist ein passender Ort für solche Gedanken- und Bilderspiele. Auf dem riesigen Areal wird freilich nicht nur das Vergangene abgewrackt, sondern emsig an technologischer Zukunft gearbeitet. Umbau West.

Hier also hat der inzwischen weithin renommierte Dortmunder Medienkunstverein „Hartware“ sein Ausstellungs-Domizil gefunden. 16 Künstler und Künstlergruppen gestalten die Schau „Vom Verschwinden. Weltverluste und Weltfluchten“.

Das Ganze gliedert sich in vier Zonen. Sie heißen „Haltlos“, „Vernichtung“, „Zeitsprünge“ und „Terrain Vague“ (etwa: undeutliches Gefilde). Hört sich etwas vertrackt und verkopft an. Tatsächlich wird man kaum umhin können. entweder beizeiten das Begleit-Material zu lesen oder sich einer Führung anzuvertrauen. Um den Slogan eines großen Buchverlags aufzugreifen: „Man sieht nur, was man weiß.“

Die sinnliche Oberfläche allein, und sei sie noch so künstlerisch gestaltet, ist hier nur eine Hälfte. Gar vielfältig sind ja die Assoziationen, die sich ans „Verschwinden“ anlagern: Sie reichen von bewussten, willentlichen Fluchten aus misslichen Situationen bis hin zur Zerstörung der Twin Towers am 11. September 2001.

Irritierende Reisen durch Zeit und Raum

Konkretes Beispiel: Die Künstlergruppe „Multiplicity“ (Italien) zeigt zwei parallele Filme mit Autofahrten. Erst wenn man den Hintergrund erfährt, merkt man richtig auf. Es geht um eine Strecke durchs Westjordanland – von Nablus nach Hebron. Die eine, direkte Variante für Israelis dauert nur 20 Minuten. Palästinenser hingegen brauchen für den gleichen Weg etwa fünf Stunden, denn sie müssen weitläufig Mauern umfahren. Eine raum-zeitliehe Irritation sondergleichen – und politische Untiefen.

Komplex gelagert ist auch dieser Fall: Die Gruppe apsolutno (Serbien/Montenegro) präsentiert ein Video von 1995. Wegen der Sanktionen gegen Serbien lag damals eine große Werft still. Wie Archäologen haben die Künstler die rostenden Schiffs-Skelette erkündet. Die seltsam ergreifende Ästhetik des Schwunds…

Man kann hier geradezu eine Weltreise des Verschwindens machen: von verfallenden Stadtwüsten in Kasachstan oder Japan bis ins endlose Weltall. Andere Trips führen ins Innenleben. Denn auch die Flucht ins (leer gewordene) Ich, die (vermeintliche) Wirkung von Drogen oder der Totalabstutz im Nervenzusammenbruch werden hier flackernd sinnfällig. Eine welthaltige Schau mit etlichen Horizonten.

• „Vom Verschwinden“. Phoenixhalle, Dortmund (Ortsteil Hörde, Hochofenstraße / Ecke Rombergstraße). 27. August bis 30. Oktober. Eintritt 4 Euro, Katalog 19 Euro.

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Über Bernd Berke

Langjähriger Kulturredakteur bei der Anfang 2013 verblichenen Westfälischen Rundschau (Dortmund), die letzten elf Jahre als Ressortleiter. Zwischenzeitlich dies und das, z. B. Prosaband „Seitenblicke" (edition offenes feld, 2021), vereinzelt weitere Buchbeiträge, Arbeit für Zeitschriften, diverse Blogs und andere Online-Auftritte. Seit 2011 hier. Und anderswo. Und überhaupt.
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