Auf den Spuren gestohlener Kunstschätze – Besuch bei der Kölner Spezial-Ermittlerin Ulli Seegers

Von Bernd Berke

Köln. „Nein. nein, ich schleiehe nicht mit hochgeschlagenern Mantelkragen und Sonnenbrille durch finstere Ecken“, stellt die junge Frau klar. Doch abseits solcher Klischees gilt Ulli Seegers (35) als Deutschlands erfolgreichste Kunst-Detektivin. Sie hat schon manches wertvolle Stück wieder aufgespürt, darunter ein millionenschweres Cézanne-Bild.

Schreibtischarbeit: Kunst-Ermittlerin Ulli Seegers. Auf ihrem PC-Bildschirm: ein gestohlenes Picasso-Gemälde. (Foto: Berke)

Schreibtischarbeit: Kunst-Ermittlerin Ulli Seegers. Auf ihrem PC-Bildschirm: ein gestohlenes Picasso-Gemälde. (Foto: Berke)

Einen Großteil ihrer Arbeit erledigt sie freilich am Schreibtisch: In Köln betreuen die promovierte Kunsthistorikerin und drei Mitarbeiter eine (streng vom Internet abgeschottete) Datenbank, in der über 160 000 weltweit gestohlene Werke verzeichnet sind, darunter allein weit über 600 Picasso-Bilder. Jeden Monat kommen rund 1000 neue Datensätze hinzu – mit steigender Tendenz.

Ulli Seegers, anfangs eher durch Zufall an diesen Job geraten, arbeitet für das „Art Loss Register“ (ALR / Kunstverlust-Register). Es wurde 1991 m London auf Betreiben der berühmten Auktionshäuser Sotheby’s und Christie’s gegründet. Die wollen natürlich nur „saubere“ Ware offerieren. 1999 kam die Filiale in Köln hinzu, zudem gibt es Niederlassungen in New York, Moskau und New Delhi. Auch Raubkunst aus der NS-Zeit wird in allen Büros erfasst, und es entsteht eine Datenbank über Fälschungen.

Studien sprechen von mindestens 5 Milliarden Dollar jährlichen Schäden durch Kunstkriminalität, von ideellen Werten zu schweigen. Zudem haben sich offenkundig Kunstraub, Drogen- und Waffenhandel vermischt. Kunst ist zur Ersatzwährung in mafiösen Kreisen geworden.

Diebe haben oft leichtes Spiel

Vor allem die großen Versicherungen und Versteigerer, aber auch bestohlene Privatleute nehmen gegen Gebühren und Erfolgsprämien (bis zu 15 Prozent des Schätzwertes für Wiederbeschaffung) das ALR in Anspruch. Die Aufklärungsquote bei Gemälden beträgt etwa 25 Prozent. Wenn irgendwo auf dem globalisierten Markt Werke zweifelhafter Herkunft auftauchen, stehen sie häufig im Kölner Register. Weitere Schritte sind dann Sache der Polizei, die gleichfalls eng mit dem ALR zusammenarbeitet.

Oft haben es Kunstdiebe sträflich leicht. „Manche unserer Museen sind Selbstbedienungsläden“, kritisiert Ulli Seegers: „Kostspielige Ausstellungs-Events haben oft Vorrang, an der Sicherheit wird gespart. Die Zustände sind in vielen Städten skandalös.“

Kunstdiebe lassen meist zwei bis drei Jahre verstreichen, bis Gras über ihre Tat gewachsen ist. Sie setzen auf Vergesslichkeit. Dann versuchen Hehler die Beute loszuwerden – und hier setzt Ulli Seegers an. Denn wer Kunst anbietet, muss dies irgendwie (halb)öffentlich kundtun. Seegers überprüft ohnehin regelmäßig Auktionskataloge und Galerie-Bestände auf Kunstmessen – zwecks Datenabgleich mit ihrem Register: „Man muss genau wissen, wie der Kunstmarkt funktioniert, wo die Grauzonen beginnen. Nach einer Weile kennt man einige Pappenheimer.“

Die Grauzonen des Marktes

Auch Kontakte ins Milieu ergeben sich, bei denen sogar der selbstbewussten Ulli Seegers mulmig zumute wird. Einmal diente sie als „Lockvogel“, sie gab sich als kaufinteressierte Sammlerin aus. Objekte der vermeintlichen Begierde waren (gestohlene) Bilder von Sigmar Polke. Mit dem kannte sich Ulli Seegers bestens aus, er war Thema ihrer Doktorarbeit. Beim Münchner Café-Treff mit dem mehr als dubiosen Anbieter saßen ringsum acht Polizisten in Zivil. Die Falle schnappte zu…

Weltbekannte Kunstwerke wie die vor einem Jahr in Oslo brutal geraubten Munch-Gemälde „Der Schrei“ und „Madonna“ kommen nicht auf den Markt. Hier geht es, wie Ulli Seegers vermutet, ums „Art Napping“, also um Lösegeldzahlung bei Rückgabe.

Von Rechts wegen dürfen etwa Versicherungen kein Lösegeld zahlen, es käme der Vertuschung einer Straftat gleich. Bei äußerst diskreten Verhandlungen werde hier jedoch zuweilen getrickst, sagt Seegers; beispielsweise, indem man „Finderlohn“ auslobt. Müssten Versicherer die fällige Diebstahlsprämie zahlen, käme es sie noch teurer zu stehen. Auch eine Grauzone?

Gibt es den steinreichen Kunst-Liebhaber, der Diebe beauftragt und sich heimlich an der illegalen Sammlung ergötzt? Ulli Seegers: „Eine Kino-Legende! Solchen Leuten bin ich noch nie begegnet.“ Noch ein Klischee zunichte!

• „Art Loss Register“, Köln, Obenmarspforten 7-11. Tel.: 0221/257 6996. Internet: www.artloss.com

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Über Bernd Berke

Langjähriger Kulturredakteur bei der Anfang 2013 verblichenen Westfälischen Rundschau (Dortmund), die letzten elf Jahre als Ressortleiter. Zwischenzeitlich dies und das, z. B. Prosaband „Seitenblicke" (edition offenes feld, 2021), vereinzelt weitere Buchbeiträge, Arbeit für Zeitschriften, diverse Blogs und andere Online-Auftritte. Seit 2011 hier. Und anderswo. Und überhaupt.
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