Deutsche Sprache ist der Superstar – In der Kölnarena absolvierten fast 15000 Menschen unterhaltsame Deutschstunden

Von Bernd Berke

Köln. Welch ein Fez und fröhlicher Lärm! So lässt sich Unterricht ertragen. Zur „größten Deutschstunde der Welt“ sind fast 15 000 Menschen in die Kölnarena gekommen, und zwar vorwiegend Schüler.

Das Lesefestival Lit.Cologne zählt seine Besucherscharen eh schon nach Zigtausenden. Doch diese Veranstaltung ist die Krönung, höchstwahrscheinlich reif furs Guinness-Buch der Rekorde. Der Aufnahmeantrag, versehen mit Beweisfotos und Teilnehmerlisten, hat beste Chancen. Chipstüten kreisen durch die Sitzreihen, stets klingeln irgendwo etliche Handys und „geschwatzt“ wird sowieso. Egal. Es stört niemanden, denn diese gigantische, rund 150 Minuten lange Deutschstunde ist ja eine flotte Show.

Moderator Thomas Bug (Ex-Juror bei „Deutschland sucht den Superstar“) mimt den strengen Oberlehrer, was natürlich neckisch gemeint ist. Denn diese Unterweisung soll vor allem Spaß machen. Die Sprache ist der Superstar.

Geht man nach, zu oder bei Aldi?

Anfangs schrillt die Glocke, auf der Bühne stehen Bänke wie in einer „Häschen-Schule“. Putzig. Hier gibt’s nun reihenweise Auftritte mit sprachlichen Aha-Effekten. Hauptakteur ist der populäre Sprachkritiker Bastian Sick („Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod“). Er trägt Kapitel aus seinen Millionensellern vor. Lauthals bejubelt, denkt er über lebenswichtige Themen nach, etwa so: Heißt es nun „Ich gehe nach Aldi“, „Ich gehe zu Aldi“ oder gar „Ich gehe bei Aldi“? (wahlweise: Lidl, Schlecker, Karstadt etc.).

Weiter geht’s mit munterem Sinn: Joachim Hermann Luger („Lindenstraße“) hält eine bedeutungsschwere, gleichwohl völlig inhaltslose „Politikerrede“. WDR-Mann Frank Plasberg („Hart aber fair“) nimmt den NRW-Ministerpräsidenten Jürgen Rüttgers ins Gebet. Der gibt zu, dass auch er mal eine „Fünf“ in Deutsch gehabt habe. Das kommt an bei den Schülern. Zunächst mit Buhs empfangen, wird Rüttgers mit Applaus verabschiedet. Etwas steif wirkt Schulministerin Barbara Sommer, die die (passablen) Deutschkenntnisse einiger Fachlehrer testet. Sie ist nervös und dreht sich gernmal vom Publikum weg.

Warum Kaminer erst einmal lieber Englisch lernte

Fußballer-Zitate zeugen gelegentlich von limitierter linguistischer Kompetenz, sie sind auch in der Halle ein Lacherfolg. Gemein! Zum Ausgleich erweist sich Schalke-Torwart Frank Rost als Sprachfreund, der für die Stiftung Lesen und Alphabetisierungs-Programme eintritt. Dafür heimst er brave Komplimente seiner Interviewerin Bettina Böttinger ein. Zwischendurch lockert deutscher Rap der Kölner A-cappella-Formation „Basta“ die Sache auf. Auch diese Jungs sind auf ihre Weise sprachbewusst.

Die meisten Lachsalven gelten Wladimir Kaminer („Russendisko“). Der Autor schildert groteske Erlebnisse beim Erlernen der deutschen Sprache. In der Sowjetunion hat er einst das das ansonsten geschmähte Englisch („Entgleisung des Plattdeutschen“) vorgezogen, weil die Lehrerin erotisch verlockend, die Kollegin fürs Deutsche hingegen eine alte Krähe gewesen sei.

Dann aber hörte Kaminer Texte von „Rammstein“ und entdeckte so die krassen Seiten dieser Sprache. Deutsch kommt ihm seither wie ein Baukasten vor, dessen Teile man beliebig zusammensetzt, etwa in hübschhässlichen Nahverkehrs-Wörtern wie „Kurzfahrstrecke“ oder „Ausstiegsgelegenheit“.

Und der Effekt der ganzen Chose? Es ist doch ein herrlicher Wahnsinn, dass unsere gute alte Sprache für einen solchen Massenandrang sorgt. Auf dem Heimweg haben Tausende übers Thema geredet, wie wohl schon lange nicht mehr. Es möge nützen.

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ZUR PERSON

Bastian Sick – „Zwiebelfisch“ und Genitiv

  • Bastian Sick, Jahrgang  1965, studierte Geschichte und Romanistik.
  • Er war zunächst als Übersetzer (Französisch) und Verlagslektor tätig.
  • 1995 ging er als Dokumentations-Journalist zum „Spiegel“-Verlag.
  • Ab 1999 arbeitete er für den Internet-Auftritt www.spiegel.de
  • Seit Mai 2003 erscheint dort seine Kolumne „Zwiebelfisch“, die in unterhaltsamer Form allerlei Zweifelsfälle und Fehlentwicklungen der deutschen Sprache aufgreift.
  • Bastian Sicks Buch „Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod“ (inzwischen 2 Bände) basiert auf dem „Zwiebelfisch“ und wurde ein Überraschungs-Erfolg.
  • Ein „Zwiebelfisch“ ist ein Buchstabe aus einer anderen (falschen) Schriftart, der versehentlich in einen gedruckten Text rutscht.
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Über Bernd Berke

Langjähriger Kulturredakteur bei der Anfang 2013 verblichenen Westfälischen Rundschau (Dortmund), die letzten elf Jahre als Ressortleiter. Zwischenzeitlich dies und das, z. B. Prosaband „Seitenblicke" (edition offenes feld, 2021), vereinzelt weitere Buchbeiträge, Arbeit für Zeitschriften, diverse Blogs und andere Online-Auftritte. Seit 2011 hier. Und anderswo. Und überhaupt.
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