Tagtraum vom unaufhörlichen Kreislauf des Lebens – George Taboris Stück „Gesegnete Mahlzeit“ bei den Ruhrfestspielen uraufgeführt

Von Bernd Berke

Recklinghausen. Wenn Bühnenfiguren Dirty Don, Professor Geil und Amanda Lollypop heißen, so deutet dies auf Farce und Slapstick hin. Damit jongliert George Taboris neues Stock „Gesegnete Mahlzeit“ denn auch.

Doch eigentlich ist diese Uraufführung (Koproduktion: Berliner Ensemble und Ruhrfestspiele) eine Etüde aufs Leben und Sterben. Mal wehmutig, mal koboldhaft, fast immer hellsichtig – manchmal bis über den Horizont des irdischen Daseins hinweg. Und in den besten Momenten erklingt die Sprache hier als schiere, vom eindeutigen Sinn losgelöste Musik.

Der schwerkranke Tabori (92) selbst hat (von seiner Bettstatt aus) die Inszenierung begleitet. Der Text ist an der Oberfläche klar gegliedert. Drei Akte: Frühstück, Mittagessen, Abendmahl. Doch Tabori stellt den Tagtraum, die Freiheit des Erinnerns und Vergessens, über die chronologische Ordnung.

Biographische Partikel verglühen wie ein Feuerwerk

Partikel aus (s)einem langen Autorenleben steigen auf und verglühen wie ein Feuerwerk. Ein Oberkellner (Peter Luppa) und ein Dramaturg (der wirkliche Dramaturg Hermann Beil) besorgen komisch-melancholische Überleitungen im biographischen Variété.

Es ist weder eine sorgsame Inventur des Lebens noch gar die hehre Summe des Werkes. So etwas mögen andere liefern. Tabori ist im Herzen „Anarchist“ geblieben. Also wandelt er freigeistig zwischen (komödiantisch zugespitzter) biblischer Geschichte und dem Lob verbliebener kleiner Alltagsfreuden, zwischen Drangsal der Nazi-Zeit und erotischem Ungenügen.

Nie, so sinniert jener Schriftsteiler Dirty Don nach angeblich 20 000 Affären, habe er es vermocht, „eine Frau liebend zum Lachen zu bringen“. Die Hure Lollypop (Margarita Broich) soll ihm nun den finalen Orgasmus verschaffen.

Das ursprüngliche Chaos des Schöpfungsaktes

Wie eine Zahnrad-Mechanik schnurrt die Zeit ab. Professor Geil (fast mafios, vielleicht gar der Tod persönlich: Gerd Kunath) nennt sie zunächst unentwegt minutengenau. Dirty Don (äußerlich wirr, zuweilen seherisch: Veit Schubert) liegt anfangs zu Bette. Er erwacht zwischen tonnenweise aufgeschichteten, beschriebenen Papieren. In diesem Ursprungs-Chaos fließen Schöpfungsakt und Vergänglichkeit ineins. Dem drohenden Tod bietet Don mit Phantasien von Zeugung und Geburt Paroli. Beschworen und gepriesen wird das Leben als ewiger Kreislauf, nicht als endliche Linie.

Im burlesken Mittelteil geht’s etwas ausufernd um den vom Geld strangulierten Geist – anhand eines Knebelvertrags, den ein schmieriger Filmmogul dem Autor aufdrängt. Tabori hat einst Drehbücher in Hollywood verfasst.

Anspielungen auf Proust, Beckett und Kafka

Der Anleihen sind viele: Dirty Don (überdies ein entkräfteter Nachfahre des Don Juan) nimmt zum Frühstück Tee und Kekse – wie einst der bettlägerige Marcel Proust, als der sich auf die „Suche nach der verlorenen Zeit“ begab. Auch Samuel Beckett ist nah, dessen greise Figur Krapp in „Das letzte Band“ per Magnetophon seine Lebensphasen Revue passieren ließ. Manche Prise Kafka ist drinnen – ui ein paar Quäntchen Brecht.

Trotz alledem ist die ganze Legierung unverkennbar aus Taboris lichtem Geiste geschaffen. Das in Scherz und Ernst traumwandlerisch präzis aufeinander eingepegelte Ensemble lässt diesen Geist schimmern und leuchten.

Bei den Ruhrfestspielen nur noch am 12. Mai (Recklinghausen, Bürgerhaus Süd, Karten 0180/11 11 021). Ab 15. Mai am Berliner Ensemble.

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Über Bernd Berke

Langjähriger Kulturredakteur bei der Anfang 2013 verblichenen Westfälischen Rundschau (Dortmund), die letzten elf Jahre als Ressortleiter. Zwischenzeitlich dies und das, z. B. Prosaband „Seitenblicke" (edition offenes feld, 2021), vereinzelt weitere Buchbeiträge, Arbeit für Zeitschriften, diverse Blogs und andere Online-Auftritte. Seit 2011 hier. Und anderswo. Und überhaupt.
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