Der Augenblick, in dem die Ordnung schwindet – Arbeiten des Heidelbergers Michael Bacht am Dortmunder Ostwall

Von Bernd Berke

Dortmund. Unordnung beflügelt mitunter die Kreativität: Als Michael Bacht (51) ein Atelier in einer früheren Tabakfabrik bezog, war diese nicht leergeräumt. Es lagen haufenweise Zigarrenschachteln herum. Bacht warf sie nicht weg. Für einen Künstler kann jeder Zufallsfund tauglich sein.

Und siehe da: Später gingen „Buchobjekte“ daraus hervor. Das sind dünne, aufgeschichtete Kartons, in denen man theoretisch blättern könnte wie in Romanen. Doch sie sind eingefaßt in Gestelle aus Stahl und Stein. Die „Bücher“ sind starre Skulpturen geworden.

Der Heidelberger, der im Dortmunder Ostwall-Museum einen Querschnitt durch sein vielgliedriges Schaffen der 80er und 90er Jahre zeigt, liebt jene anfänglichen Zufalle, deren weiteren Verlauf er ein wenig (aber nicht zu sehr) steuern kann. Wenn etwa Karton sich mit Farbpigmenten vollsaugt, entstehen zwar einander eng verwandte Bilder-Serien nach einem gewissen Plan, doch es bleibt Raum für kleine Überraschungen, Abweichungen, kurz: fürs Unvorhergesehene.

„Strikte Anordnung“ heißt eine Arbeit im Lichthof. Sie wirkt wie eine Ansammlung trost- und fensterloser Reihenhäuser, in deren Mittelspalten sich Asche ausbreitet – Zeichen der Vergänglichkeit. Dahinter hängen vier Fotografien, die das allmähliche Anwachsen eines roten Laserstrahls zum wirren Knäuel festhalten. Da haben wir sie wieder: die Momente, in denen Ordnung und Übersichtlichkeit schwinden.

Meditation mit Pflastersteinen

Gar zu viel Ordnung ist diesem Künstler eben suspekt. In einer ironischen „Hommage“ an Piet Mondrian, der bekanntlich phasenweise wie mit dem Lineal malte, hat Bacht dessen Hauptfarben (rot, gelb, blau) verwendet, jedoch in einer Art Dornenhecke so verzweigt, daß sich die Töne vermischen. Der Wildwuchs wird freilich formal „gehalten“ von einem schwarzen Kreuz, das wie ein Gerüst im Geäst steckt. Schieres Chaos wäre halt auch keine Kunst…

In den bewegten 60er Jahren begann Bach sein Studium. Erinnerungen daran sind Thema dieser Installation: Einige Pflastersteine (!) hängen, nunmehr ganz still und mit Papier-Zwischenlagen gedämpft, in einer stählernen Konstruktion. Eine etwas wehmütige Meditation über den einst so handfesten Protest?

Der Künstler hat sich eingehend mit Zen-Meditation befaßt. Selbst geschichtlich angeregte Werke geraten eher kontemplativ: Ein Feld aus verstreuter Asche, davor einige Spitzhacken, die freilich von aufgesetzten Kugeln in Ruhestellung gehalten werden. Der Künstler deutet an, dies beziehe sich auf die Nachkriegszeit, als aus Schutt und Asche der Wiederaufbau erfolgte – oft allzu rasant und gedankenlos. Bachts Entwurf eines Mahnmals zum Gedenken an die Opfer des 2. Weltkrieges, gedacht für einen bunkerartigen Raum, besteht aus hell angestrahlten Spiegel-Kreuzen, deren Formen sich geisterhaft an den Wänden abzeichnen.

Doch manchmal, wie zur Entspannung, überläßt sich Bacht den raschen Einfällen des Augenblicks. Schauen wir in eine Vitrine: Was bedeutet dieses an einen Kleiderbügel geklemmte Spielzeug-Kamel? Eine Anspielung auf jenen berüchtigt teuren Kamelhaarmantel, in dem Kanzler Gerhard Schröder posierte. Oh, allzu flotter Scherz!

Museum am Ostwall, Dortmund. Bis 20. Juni. Di-So 10-17, Mi 10-20 Uhr. Eintritt 4 DM.

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Über Bernd Berke

Langjähriger Kulturredakteur bei der Anfang 2013 verblichenen Westfälischen Rundschau (Dortmund), die letzten elf Jahre als Ressortleiter. Zwischenzeitlich dies und das, z. B. Prosaband „Seitenblicke" (edition offenes feld, 2021), vereinzelt weitere Buchbeiträge, Arbeit für Zeitschriften, diverse Blogs und andere Online-Auftritte. Seit 2011 hier. Und anderswo. Und überhaupt.
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