„Die Ehe – das sind zwei Geschichten“ / Neuer Roman des Büchner-Preisträgers Arnold Stadler

Von Bernd Berke

Figuren in deutschen Romanen haben oft viel Zeit, über sich und ihr Leiden an der Welt nachzudenken. So auch in „Ein hinreissender Schrotthändler“, dem neuen Werk des kürzlich gekürten Büchner-Preisträgers Arnold Stadler. Sein ichschwacher Erzähler, dem kein eigener Name gegeben wird, ist ein mit 45 Jahren früh pensionierter Geschichtslehrer.

Die Ehe dieses Mannes, der mit einer Ärztin liiert ist, tröpfelt sozusagen nur noch dahin. Der Resignierende redet davon, als gehe es um Konjunkturdaten: „… die Ehe war ohnehin eine krisengeschüttelte Branche, die krisengeschüttelte Branche schlechthin…“ Kinder hat man sowieso nicht in die Welt gesetzt. Auch dazu äußert der Enttäuschte seine düstere Meinung: „Für meine Person wollte ich keinen sogenannten Stammhalter. Damit sie nachher auf dem Kindergeburtstag streiten und Krieg spielen und .sich umbringen wollen?“

Fremder Schönling in Trainingshose

Eigentlich kein Wunder, daß Gattin Gabi abtrünnig wird, sobald der Schönling Adrian auftaucht. Wie aus dem Boden gewachsen, steht dieser Asylbewerber eines Tages in seiner Adidas-Hose vor der Tür. Fortan geistert diese Kunstfigur wie ein Phantom durch die Handlung. Gelegentlich würgt er den Hausherrn und verlangt Geld. Trotzdem adoptieren sie ihn. Die einfachste Lösung. So kann er hier bleiben und die Ehefrau beglücken. Man findet sich mit allem ab, denn man ist ja finanziell „saniert“ und fährt seinen Benz. Ein gut wattiertes Unglück also.

Allmählich aber wächst beim Erzähler denn doch ein Gefühl nachhaltiger Entfremdung: „Meine Frau, und ich: das sind zwei Geschichten unter einem Dach, von denen ich nur die eine kenne.“

Anlässlich einer Beerdigung treibt ihn das Weh weg aus dem Wohnort Köln und hin in seine alte, hassgeliebte Hinterwäldler-Heimat, über die er mit seiner Frau (hochnäsige Hamburgerin) nie wirklich hat sprechen können: Kreenheinstetten bei Meßkirch.

Und nun weitet sich der Roman zum eindringlichen, aber gleichwohl köstlich unterhaltsamen Lamento über Kindheits-, Sprach- und Heimatverlust.

„Die Heimat wird immer weniger“ lautet eine Kapitel-Überschrift. In der Tat ist die ehedem hinterletzte, aber anheimelnd gewesene Provinz jetzt durchtränkt mit dem Gift der schnöden Gegenwart. Rosemarie, seine Freundin aus der Zeit kindlicher Doktorspielchen, verdingt sich als Immobilienmaklerin, ihr Mann verhökert japanische Geländewagen. Andauernd zirpen die Handys, und einen Selbsterfahrungs-Workshop für Sexaholics (Sexsüchtige) gibt’s auch schon in Meßkirch, wo einst der Schwergewichtsdenker Martin Heidegger grübelte.

Traurigkeit hinter der Maskerade

Glaubt auch niemand mehr an Gott, so bekommt man hier doch noch eine „Seele“. So heißt die landesübliche Brezel, bei deren Anblick dem Erzähler ganz warm uns Herz wird. Wie sich einst Marcel Proust vom Duft eines Gebäcks zur „Suche nach der verlorenen Zeit“ verleiten ließ, so auch Stadler und sein Antiheld.

Arnold Stadler würzt sein Klagelied mit komischen, schrulligen, abstrusen Details. Stilistisch gibt er sich oft bewusst lässig und streut so manchen Kalauer ein. Für das Lächerliche hochnotpeinlicher Situationen hat er einen besonders wachen Sinn. Kurz und gut: Die Sache liest sich munter ‚runter.

Doch hinter solcher Maskerade springen urplötzlich Traurigkeit, ja Untröstlichkeit hervor, manchmal in unscheinbaren Nebensätzen. Das Leiden am verfehlten Leben wird durch Stadlers Komik um keinen Deut verkleinert, sondern umso greller hervorgetrieben. Und dies ist wirklich eine Kunst.

Arnold Stadler: „Ein hinreissender Schrotthändler“. Roman. DuMont Verlag. 237 Seiten.

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Über Bernd Berke

Langjähriger Kulturredakteur bei der Anfang 2013 verblichenen Westfälischen Rundschau (Dortmund), die letzten elf Jahre als Ressortleiter. Zwischenzeitlich dies und das, z. B. Prosaband „Seitenblicke" (edition offenes feld, 2021), vereinzelt weitere Buchbeiträge, Arbeit für Zeitschriften, diverse Blogs und andere Online-Auftritte. Seit 2011 hier. Und anderswo. Und überhaupt.
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