Springteufel der Kultur – die Verfilmung von „Sofies Welt“

Von Bernd Berke

Da trifft Sofie mal eben den alten Knaben Leonardo da Vinci und sieht, wie er gerade seine „Mona Lisa“ fertig malt. Ein paar Schritte weiter meißelt Michelangelo eine Skulptur. „Sofies Welt“ könnte so aufregend sein. Doch in der Verfilmung des Weltbestsellers von Jostein Gaarder hat die Kleine gar keine Muße, sich mit all den berühmten Herrschaften zu befassen.

Erik Gustavsson habe das teuerste norwegische Lichtspiel aller Zeiten gedreht, und aus 4000 Bewerberinnen sei die Sofie-Darstellerin Silje Storstein ausgewählt worden. So strunzt die Werbung. Tatsächlich ist das Mädel sympathisch. Und zweifellos setzt der Regisseur mit technischen Tricks gleichsam die ganz große Fernbedienung in Gang, um sich durch Buch und Historie zu zappen.

Sofie, 14-jährigesMädchen mit okkulten Neigungen, bekommt rätselhafte Briefe. Postbote ist ein Hund, Verfasser der Philosoph und Luftgeist Alberto Knox, der freilich einem „Major“ (Gott?) Untertan ist. Knox verfolgt Sofie mit Grundsatzfragen: „Wer bist du?“ – „Woher kommt die Welt?“ Alsbald erscheint er selbst und nimmt Sofie mit auf eine traumhafte Zeitreise durch Europas Philosophie- und Kulturgeschichte. Ganz schön cool, findet Sofie. Doch nun beginnt das luxuriös gepolsterte Elend dieses Films.

Teuer drapiert und dann verramscht

Denn all die großen Geister, die wohl etwas zu sagen hätten (und im Buch ungleich ausführlicher behandelt werden), finden hier bloß Zeit für jeweils einen kernigen Merksatz. Lauter Springteufel der Kultur.

Etwa so: Sokrates fordert hastig Denkfreiheit und muss sogleich den Schierlingsbecher austrinken. Schade. Schon tot. Vom Franzosen Descartes vernimmt man nur die Worte „Cogito, ergo sum“ (Ich denke, also bin ich) – damit ist die Sache abgetan. Sein dänischer Philosophen-Kollege Kierkegaard taumelt kauzig durchs Bild, ruft „Man muss eine Wahl treffen!“ und schon ist auch er im Orkus der Zeiten verschwunden, aus dem Nietzsche „Gott ist tot“ röchelt.

Shakespeares „Sein oder Nichtsein“ wird bebend deklamiert, Frankreichs Revolutionäre von 1789 dürfen ihre Losung „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“ beisteuern, sodann eine Guillotine niedersausen lassen und zackig abtreten. Russlands Bolschewiki grüßen heiser mit „Towarisch“ (Genosse). Dazu ertönt die „Internationale“, und irgendwer hält Marx‘ „Kommunistisches Manifest“ vor die Kamera. O weh! Seltsam nur, dass Sofie mit all diesem flugs erhaschten Zwanzigstel-Wissen ihrem Lehrer imponiert. Ist der Bildungsnotstand so arg?

Doch die ganze Klippschule hat sich mächtig in Schale geworfen, denn der geistige Schwund muss durch aufwendige Kulissen und Kostüme wettgemacht weiden. So ersteht das antike Athen vor unseren Augen neu, und wir dürfen staunend durch Renaissance-Paläste schweifen. Postmoderner Budenzauber, der umstandslos Markenzeichen der Epochen einsammelt und als Mummenschanz herrichtet.

Dass Sofie eine Doppelgängerin hat, dass auch noch ihr Vater und der Buchautor (gottgleich kann er die Figuren auf der letzten Seite enden lassen) ins Spiel kommen – geschenkt! Was im Buch so klug und kunstvoll unterhält, wird hier nur teuer drapiert und dann billig verramscht.

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Über Bernd Berke

Langjähriger Kulturredakteur bei der Anfang 2013 verblichenen Westfälischen Rundschau (Dortmund), die letzten elf Jahre als Ressortleiter. Zwischenzeitlich dies und das, z. B. Prosaband „Seitenblicke" (edition offenes feld, 2021), vereinzelt weitere Buchbeiträge, Arbeit für Zeitschriften, diverse Blogs und andere Online-Auftritte. Seit 2011 hier. Und anderswo. Und überhaupt.
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