Ein lauer Schwank im Licht der Tütenlampen – „Der Raub der Sabinerinnen“ in Hagen

Von Bernd Berke

Hagen. „Was gestrichen ist, kann nicht durchfallen“ und „Da strömt schon wieder einer“ (nämlich ins Theater) – mit solchen Sentenzen haben Franz und Paul von Schönthan die anekdotische Rede vom Bühnenwesen gewürzt.

Die Sätze kommen in ihrem Stück „Der Raub der Sabinerinnen“ (uraufgeführt 1884) vor. Jetzt holte Hagens Theater, ansonsten ein Hort des Musikalischen, den angeblich unverwüstlichen, insgesamt aber doch ziemlich lau gewordenen Schauspiel-Schwank aus der Versenkung.

So geht’s zu: Gymnasialprofessor Gollwitz (Peter Bisang), Altphilologe und pedantischer Kenner antiker Verhältnisse, hat ein unsäglich gereimtes „Sabinerinnen“-Drama verfasst. Der munter sächselnde Theaterdirektor Striese (phasenweise ein Lichtblick: Jürgen Dittebrand) will es mit seiner kläglichen Wandertruppe aufführen. Gollwitz ist eitel genug, dies zuzulassen, doch seine holde Gattin Friederike (Edeltraud Kwiatkowski) darf um Himmels Willen nichts davon erfahren, woraus sich das ehedem übliche Versteckspiel zwischen Patriarch und Ehedrachen ergibt.

Unter Strieses Hand bleibt derweil kein Text-Stein auf dem anderen. Die Römer-Tragödie mutiert zur grandiosen „Schmiere“, wird aber vor dem Skandal gerettet, indem man sie flugs zur Parodie erklärt – so jedenfalls in der Fassung von Curt Goetz, die der Hagener Mühsal zu Grunde liegt.

Inszenierung von bestürzend biederem Geist

Gar putzig ist das Bühnenbild (Peter Umbach) zu Peter P. Pachls Inszenierung geraten: Eine zweistöckige „Puppenstube“ mit sechs Räumen erhebt sich da, vollgestopft mit Mobiliar der 50er Jahre, also Tütenlampen, Dreieckstisch und dergleichen. Ach, wie nett-und wie unumstößlich vorgestrig. Es ist eine Theater-Zeitreise der schaurigen Art, wir sitzen in der Geisterbahn. Festhalten!

In besagter Stube also hockt der verdruckste Bürger, Professor Gollwitz. dem das lockere Theatervölkchen hernach so zusetzt. Seine altväterliche Beziehung zu Ehefrau („Pummelchen“) und Tochter darf eigentlich gar nicht mehr wahr sein, wird aber ohne Bruchlinien gespielt, wie denn überhaupt die letzten 40 Jahre spurlos am bestürzend biederen Geist dieser Inszenierung abgeglitten zu sein scheinen. Das Höchstmaß an Ironie (oder etwa Zynismus?) ist bereits erreicht, wenn auf einem bemalten Bühnenprospekt röhrendes Rotwild nebst Zielscheibe zu sehen ist.

Augenzwinkernd zur Rampe hin

Die schauspielerischen Mittel, das Geschehen in absurde Überdrehungen oder ins trockene Understatement zu treiben, sind – nehmt alles nur in allem – nicht vorhanden. Also gibt man den Text schlichtweg von sich und rudert mit ausladenden Gesten reichlich hilflos durch das Stück. Die Pointen reicht man uns kaum mit schöner Beiläufigkeit, sondern heftig augenzwinkernd zur Rampe hin. Regionale Schenkelklopfer (Striese darf am Ende Hagener Theaterchef werden, eine Figur ist „so stur wie ein Finanzbeamter in Iserlohn“) kommen erschwerend hinzu.

Oh, große Wirrnis: Vielleicht geht man ja einfach zu oft ins Theater, ist zu sehr auf ästhetische Verfeinerung und zeitgemäße Durchdringung der Texte versessen. Aber nein.So wie jetzt in Hagen „geht“ Theater einfach nicht mehr. Die Frage muss schon gestellt werden: Warum nur hat man es sich hier in den Kopf gesetzt, man müsse pro Saison partout eine Sprechtheater-Produktion anbieten? Es gibt doch etliche achtbare Häuser ringsum: Dortmund, Bochum, Wuppertal und so fort. Wenden wir’s mal günstig: Nach diesem Abstecher ins Bodenlose schwillt die Vorfreude auf Hagens nächste Opern-Premiere.

Termine: 2., 4., 6., 9. Februar. Karten: 02331/207-3218.

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Leserbrief

Freude des Publikums nicht erkannt

Betr.: Raub der Sabinerinnen

Nun haben Sie es uns gezeigt: Sie sind ein Welttheaterkritiker, wir sind Provinzler und leben hinter dem Mond als ewig Gestrige. Ja, ja wir haben es begriffen, während Sie in ihrem Hochmut vieles nicht begreifen: Dieser „lau“ gewordene Schwank ist ein herrliches Stück Theater, das Peter P. Pachl dankenswerterweise (fast) ohne die heute üblichen Brechungen und Zerschlagungen inszeniert hat. Nicht erkannt von Ihnen die Freude des Publikums, seine verdienten, langjährigen Sängerdarstller als Schauspieler zu erleben, eine wunderbare Erica Pilari, die Vollblüter Horst Fiehl und Werner Hahn werden von Ihnen gar nicht erwähnt. Dieses Publikum liebt seine Künstler wegen seiner großen Leistungen, so auch der dieses Abends.

Peter Pietzsch, Intendant Stadttheater Hagen

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Über Bernd Berke

Langjähriger Kulturredakteur bei der Anfang 2013 verblichenen Westfälischen Rundschau (Dortmund), die letzten elf Jahre als Ressortleiter. Zwischenzeitlich dies und das, z. B. Prosaband „Seitenblicke" (edition offenes feld, 2021), vereinzelt weitere Buchbeiträge, Arbeit für Zeitschriften, diverse Blogs und andere Online-Auftritte. Seit 2011 hier. Und anderswo. Und überhaupt.
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