Diese teuflischen Sommernächte – Martin Mosebachs Roman „Der Mond und das Mädchen“

Von Bernd Berke

Jede Menge Zukunft in Sicht: Junger Mann heiratet Tochter aus gediegenem Hamburger Hause und tritt in Frankfurt seinen ersten Bankjob an. Alles bestens? Nicht ganz. Im neuen Roman des aktuellen Büchnerpreisträgers Martin Mosebach ist dem Paar schon mal kein gemeinsamer Hochzeitsurlaub vergönnt.

Stattdessen fliegt die elfenhafte, nicht gerade rauschend lebenstüchtige Ina erst mal mit ihrer Mutter nach Ischia. Derweil muss Hans im brüllend heißen Hochsommer schuften –  und überdies noch eine Wohnung fürs erhoffte Eheglück finden. Der Leser erfahrt: Sie haben einander so herzlich lieb, dass ihnen all das nichts ausmacht. Die Trennung auf Zeit soll gar die Freude aufs Wiedersehen steigern. Und überhaupt scheint dieser Hans ja ein „Hans im Glück“ zu sein. Märchenhaft.

Ein junges Paar wird gründlich irritiert

Doch unvermischtes Gelingen erzählt sich selbst als Märchen schwer. Also schleichen sich immer mehr Irritationen in die junge Beziehung ein. Erst ganz leise, irgendwann unabweislich – spätestens, als Hans eine aparte Nachbarin (Schauspielerin) kennenlernt. Dies führt bis zur Lebenskatastrophe -– und in einer unverhofften Schlussvolte gnädig darüber hinweg.

Hans‘ anfängliche Such-Streifzüge durch Frankfurt lesen sich wie ein Städtebau-Roman. Da werden höchst ortskundig die Vor- und Nachteile diverser Wohnviertel und Straßen erwogen. Schließlich bekommt Hans eine Art Entscheidungs-Anfall und nimmt eine Behausung am tosenden Baseler Platz, nah beim Rotlicht-Viertel. Was wird die giftigeSchwiegermutter dazu sagen?

Ist diese Wohnung des Teufels?

Gattin Ina macht dekorativ noch das Beste draus, doch irgendwie ist der Wurm drin. Diese Wohnung, so scheint’s, bringt Unglück, ist vielleicht gar des Teufels. Ein beängstigend umtriebiger marokkanischer Hausmeister und die bizarre multikulturelle Hinterhof-Gesellschaft, in die sich Hans zuweilen aus dumpfer Wohnungsenge flüchtet – sie wirken wie Boten aus einer kaum begreiflichen Welt. Einmal fällt sogar das Wort „Hexensabbat“. Uber allem hängt der zauberisch fahle Mond, der nachts das bleiche Mädchen Ina bescheint. Kurzum: ein Sommernachtstraum, in dem die Dingwelt ihr geisterhaftes Eigenleben führt und die Menschen wie betäubt sind…

Teufel und Hexen? Nun ja, Mosebach neigt zum Zeitenthobenen, zum Jenseits, zur Religion. Zuletzt hat er sich als vehementer Befürworter traditioneller (lateinischer) Formen der katholischen Liturgie tiervorgetan. Überhaupt ist er ein entschieden konservativer Geist, was sich auch in seiner Erzählweise mitteilt. Ruhig mäandern die epischen Sätze dahin, oft auch ein wenig behäbig. Der Erzähler nimmt uns fürsorglich an die Hand. Oft schein1 er „allwissend“ zu sein wie in den guten alten literarischen Zeiten. Gern lässt er altväterlich klingende Lebensweisheiten in den Redestrom einfließen. Etwa solche: „Eine Frau, die sich unterordnet, gewinnt an Einfluss…“

Man kann sich als Leser freilich auch wohlig aufgehoben fühlen – fern jeder angestrengten Avantgarde. Hier gibt es keine Experimente. In den besten Passagen fühlt sich Mosebachs Sprache an wie seidige Sommerluft. Und wie ein Hauch von gestern.

Martin Mosebach: „Der Mond und das Mädchen“. Roman. Hanser Verlag. 191 Seiten. 17,90 Euro.

Am Mittw., 28. November (19.30 Uhr), liest Mosebach in der Reihe „Kultur im Tortenstück“ im Dortmunder Harenberg City-Center aus dem Roman.

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ZUR PERSON

In Frankfurt verankert

  • Martin Mosebach wurde am 31. Juli 1951 in Frankfurt geboren.
  • Er hat Jura in Frankfurt und Bonn studiert.
  • Seit 1980 lebt er als freier Schriftsteller in der Main-Metropole.
  • Seine Verankerung in der Stadt erinnert an den Büchnerpreisträger von 2004: Wilhelm Genazino, dessen Figuren oft ziellos durch Frankfurter Vororte streifen.
  • Mosebach schrieb zuvor Romane wie „Das Bett“ (1983), „Westend“ (1992), „Die Türkin“ (1999) und „Der Nebelfürst“ (2001).
  • Der Büchnerpreis gilt als wichtigste deutsche Literatur-Auszeichnung. Die letzten Preisträger vor Mosebach: Wolfgang Hilbig, Alexander Kluge, Wilhelm Genazino, Brigitte Kronauer und Ostkar Pastior.
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Über Bernd Berke

Langjähriger Kulturredakteur bei der Anfang 2013 verblichenen Westfälischen Rundschau (Dortmund), die letzten elf Jahre als Ressortleiter. Zwischenzeitlich dies und das, z. B. Prosaband „Seitenblicke" (edition offenes feld, 2021), vereinzelt weitere Buchbeiträge, Arbeit für Zeitschriften, diverse Blogs und andere Online-Auftritte. Seit 2011 hier. Und anderswo. Und überhaupt.
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