Das Beste vom Osten – Kunst vor der „Wende“ aus vielen Ländern in Hagen

Von Bernd Berke

Hagen. Was bleibt von Osteuropas Kunst aus kommunistischen Zeiten? Diese Frage erwägt jetzt ein vielfältiges Ausstellungs-Projekt im Hagener Osthaus-Museum.

Es geht dabei keineswegs um den grauslichen Sozialistischen Realismus, der die „Errungenschaften der Arbeiterklasse“ in heroisch-kitschigen Bildern pries. In den Blick rücken vielmehr allerlei Arten der widerständigen oder zumindest inoffiziellen und auf Autonomie beharrenden Kunst, die zwischen 1945 und 1985 im Osten entstanden ist.

Die letzte Hagener Schau des scheidenden Museumsdirektors Michael Fehr hat eine windungsreiche Vorgeschichte. Vor wenigen Jahren entstand eine „Fast Art Map“, also eine Landkarte osteuropäischer Kunst aus 22 ehedem sozialistischen Ländern einschließlich der DDR. Datenbasis waren die Vorlieben von just 22 Kunstkritikern, die jeweils ihre heimischen Favoriten benannten – insgesamt 226 Werke.

Aus der Befragung hat sich folglich eine Art Kanon oder Bestenliste ergeben. All das soll auf eine Museumsgründung in Berlin hinauslaufen. Auch Tourneen durch den früheren Ostblock sind geplant. Jetzt aber sind ausgewählte Arbeiten erst einmal in Hagen zu sehen. Eine bemerkenswerte Vorreiterschaft.

„Fahndung“ nach den Exponaten

Die Beschaffung der Exponate war nicht leicht: Diverse Gruppierungen, allen voran die slowenische Formation „Irwin“, beteiligten sich an der Fahndung. Gar manches war in den Wirren der politischen Wende oder durch Emigration der Künstler verloren gegangen. Zudem lautet eine vorsichtige These der Schau, dass „der“ Osten vor allem konzeptionelle Kunst hervorgebracht habe, sprich: Arbeiten, die auf ausgiebiger Denkarbeit beruhten und oft gar nicht so sehr auf materielle Dauer angelegt waren.

Zu den Urhebern der rund 50 Hagener Ausstellungsstücke zählt auch internationale Prominenz, so etwa Christo & Jeanne-Claude (signierte Plakate), Marina Abramovic (Fotografie von einer lebengefährlichen Feuer-Performance), Ilya Kabakov oder Komar & Melamid. Doch darauf kommt es nicht in erster Linie an. In der Gesamtansicht wird jedenfalls deutlich, dass wenigstens diese Künstler Osteuropas dem Westen nicht nachstanden. Schon in den frühen 1960er Jahren wurde auch dort mit ausgesprochen avancierten (Aktions)-Formen experimentiert.

Formen des Widerspruchs

Ein Künstler etwa plakatierte in Zagreb (Ex-Jugoslawien) überlebensgroße Fotoporträts zufälliger Passanten – listiger Protest gegen die ansonsten übermächtige Partei-Propaganda. Auf noch stillere Weise meldete Valery Charkasow Einspruch an: Ein Tisch und Besteck. Sonst nichts. Doch die Lage der Messer und Gabeln ergibt (in kyrillischer Schrift und russischer Sprache) den schlichtweg ergreifenden Satz: „Ich will essen.“

Die Hagener Schau fasert noch weiter ins Grundsätzliche aus. Bonner Student(inn)en der Kunstgeschichte haben spielkartenkleine Reproduktionen des gesamten Kanons (mithin 226 Werke) wie in Puzzles neu sortiert – nach Nationen, Themen und Genres. Lerneffekt: Eine solche Ausstellung könnte auch ganz anders aussehen. Oder: Die jetzige ist nur ein Vorschlag.

„East Art Museum“. Hagen, Osthaus-Museum (Hochstr. 73). 11. Sept bis 13. Nov. Geöffnet Di-So 11-18, Do 11-20 Uhr. Eintritt 3 €. Kein Katalog.

Internet: www.keom.de (Museum) und www.eastartmap.org (Gesamtprojekt – Homepage mit Debattier-Möglichkeit).

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Über Bernd Berke

Langjähriger Kulturredakteur bei der Anfang 2013 verblichenen Westfälischen Rundschau (Dortmund), die letzten elf Jahre als Ressortleiter. Zwischenzeitlich dies und das, z. B. Prosaband „Seitenblicke" (edition offenes feld, 2021), vereinzelt weitere Buchbeiträge, Arbeit für Zeitschriften, diverse Blogs und andere Online-Auftritte. Seit 2011 hier. Und anderswo. Und überhaupt.
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