Von Bernd Berke
Wer weiß, wer weiß, welche Zufälle im Leben mitspielen: Es hätte gut so kommen können, dass Franz Josef Degenhardt heute einer der Top-Experten für Europäisches Recht wäre, denn das hat er eingehend studiert. Doch irgend etwas muss ihn in den frühen 60er Jahren gepackt und aufs Terrain der politischen Liedermacher gezogen haben. Sonst hätten wir ihn nie als „Väterchen Franz“ kennen gelernt. Kaum auszudenken!
Heute vor 70 Jahren wurde der Barde und Bänkelsänger der deutschen Linken in Schwelm geboren. Obwohl er längst in Quickborn bei Hamburg lebt, zeugen zumal seine Romane (am bekanntesten wurde der Erstling „Zündschnüre“) von westfälischer Bodenständigkeit sozialistischer Lesart. Degenhardt selbst hat seine Herkunft aus einer „militant katholischen und antifaschistischen Familie mit frühen Bezügen zum sozialistischen Milieu“ stets gern betont.
Öko-Bewegung war seine Sache nicht
Phasenweise hat er höchst aggressive Saiten angeschlagen. „Zwischentöne sind nur Krampf – im Klassenkampf“, dieser ungute Agitprop-Refrain klingelt immer noch in den Ohren. Auch hat Degenhardt die aufkommende Alternativ-Bewegung in den späten 70ern übel missverstanden, ja aus seiner orthodox-kommunistischen Sicht wohl verkennen müssen. Lieder, die er in diese Richtung abfeuerte, bewegten sich manchmal gar am Rande der Denunziation.
Schon die APO um 1967/68 fand nicht seine Billigung. Zwar war er mit Rudi Dutschke befreundet, doch die meisten Aktionen der Studentenbewegung hielt er für Streiche der Kinder besserer Leute. Vermutlich lag darin sogar ein Körnchen Wahrheit.
Und natürlich verdanken wir dem Mann, der immer noch unverdrossen der DKP anhängt (1971 wurde er wegen solcher Neigungen aus der SPD ausgeschlossen), auch einige der wirksamsten Balladen, Chansons und Polit-Songs der Nachkriegszeit. In seinen besten Zeiten waren ihm (jeder auf seine besondere Art) allenfalls Biermann und Hüsch ebenbürtig.
Manches eignete sich auch zum Grölen
„Spiel nicht mit den Schmuddelkindern“ wurde zur oft zitierten Legende. Dutzende von Liedern fallen einem da ein, die früher in linken Kneipen zu fortgeschrittener Stunde und bei erhöhtem Pegel auch schon mal selig gegrölt wurden; wohl ganz im Sinne von „Väterchen Franz“, der im Lied als „versoff’ner Chronist“ auftrat. Doch es gibt auch viel fein gesponnene Poesie in seinem Werk.
Nur ein paar Nostalgie-Stichworte: „Horsti Schmandhoff“ (ewiges Stehaufmännchen seit Nazi-Zeiten), „Deutscher Sonntag“ (genialische Provinz-Beschreibung), „Befragung eines Kriegsdienstverweigerers“ (sarkastische Zeile: „Sie berufen sich hier pausenlos aufs Grundgesetz“). Hellsichtig auch die satirischen Rollenporträts des satten Bürgertums, so in „Notar Bolamus“ oder „Wenn der Senator erzählt“.
Mütterchen, die Lenin lesen
Überhaupt hat Degenhardt manches früh kommen sehen – erstarkenden Neonazismus und Kriegslüsternheit etwa. Später kamen leider auch einige spröde Helden-Epen aus dem Geiste eines volkstümlich getönten sozialistischen Realismus hinzu, etwa von wackeren proletarischen Mütterchen, die Marx, Engels und Lenin zu lesen beginnen.
Seit den 80er Jahren differenziert Degenhardt in seinen Texten wieder genauer. Auch musikalisch entdeckte er vielfältigere Ausdrucksformen, seit er mit Gruppen wie „Ougenweide“ oder „Randy Pie“ arbeitete und schließlich eine eigene Band hatte. Mehr Instrumente – das bedeutete nicht nur mehr Klangfarben, sondern just auch wieder dialektische, melancholische oder zynisch-heitere Zwischentöne Es wäre ja auch nicht zu fassen, wenn“ ein solch kluger Mensch nicht hinzulernen würde. Nur sich ändert, bleibt sich treu.