Glühende Landschaften der Seele – Dortmunder Ostwall-Museum wartet mit betörender Jawlensky-Ausstellung auf

Von Bernd Berke

Dortmund. Psychologen haben allerhand Farb-Therapien entwickelt, mit denen sie ihren Klienten heilsame Gefühle einflößen wollen. Doch die üppigsten Feste der Farbe werden nun mal in der Kunst gefeiert – und eins der schönsten begeht man nun im Dortmunder Ostwall-Museum: 150 Ölgemälde des Alexej von Jawlensky (1864-1941) und rund 30 Werke von Zeitgenossen werden aufgeboten, um die Sinne zu betören.

Museum-Kustos Tayfun Belgin stapelte gestern reichlich tief: Einen „kleinen Beitrag“ zur Jawlensky-Debatte wolle man leisten. Er selbst und die Sponsoren werden wohl wissen, daß sie der Stadt und dem Umland ein Ereignis ersten Ranges beschert haben.

Leidiges Thema seit dem Essener Reinfall mit gefälschten Jawlensky-Aquarellen: Bis zum stichhaltigen Beweis des Gegenteils hält Tayfun Belgin alle in Dortmund gezeigten Bilder für echt, man habe die Herkunftswege geklärt. Generelles Problem allerdings: Jawlensky sei „ein miserabler Buchhalter“ seiner eigenen Produktion gewesen.

Nun aber stracks zum Genuß! Grandios schon der Auftakt im Lichthof des Museums, das übrigens die zweitgrößte Jawlensky-Kollektion Europas aufweist. Hier geht es erst einmal realistisch zu. Man bestaunt opulente Porträts („Maria“, „Hélène im spanischen Kostüm“) aus Jawlenskys Frühwerk. Vergleichsbilder etwa von Ilja Repin und Anders Zorn runden den ersten Eindruck ab: Auch ein Jawlensky hat sich – natürlich – im Horizont seiner Zeit bewegt und sein Schaffen konventionell begonnen.

Meisterliche Behandlung von Farbwerten ist freilich schon erkennbar. Das Haar der „Blondine“ (1894) erstrahlt nahezu überirdisch. Farbe als geistige Erscheinung. Das Streben nach farblicher Harmonie bestimmt Jawlenskys Werk um die Jahrhundertwende. Im „Stilleben mit Samowar“ (1901) erklingen die Tonwerte wie zarte Musik, später wird die Skala kräftiger: Da ergießt sich glühendes Fühlen in ebenso glühende Farben. Außerordentlich die Perspektive im Bild „Schwarzer Tisch“ (1901). Am obersten Rand setzen Blumen und ein Teller sparsame Farbakzente, der Tisch scheint – seines festen Halts beraubt – auf den Betrachter zuzurutschen.

Im Schmerz richtet sich der Blick ganz nach innen

Jawlensky suchte nach einem Stil, mit dem er nicht so sehr die sichtbare Stofflichkeit erfassen, sondern vielmehr in die Innenwelt der Gefühle vordringen konnte. Zeitweise orientierte er sich an Van Gogh (deutlich in Jawlenskys „Stillleben mit Zitrone und Hyazinthe“, 1901) oder an den flirrenden Farbpunkten der Pointillisten. In Dortmund belegt eine Landschaft von Paul Signac diesen Einfluß.

Häufig wiederkehrendes Motiv auf Jawlenskys Landschaften (u. a. aus Murnau) sind jene Wegbiegungen, deren Verläufe wohl immer auch den Lebens-Weg bedeuten: Wege des Innehaltens, Wege der Sehnsucht. Auf dem Bild „Einsamkeit“ ist zwar keine menschliche Figur zu sehen, doch ein Telegrafenmast ragt 1 ganz allein vor einem von fernher leuchtenden Gebirge auf. Schwankende Häuser und Hügel lassen das Erschauern vor Natur und Dingwelt spürbar werden. Es sind Landschaften der Seele.

Die Dortmunder Schau sättigt nicht nur die Lust am Schauen, sie schickt sich überdies an, Fachfragen aufzuwerten. Beispielsweise: War Jawlensky Expressionist? Der direkte Vergleich der Jawlensky-Arbeit „Stilleben mit bunter Decke“ (1910) mit „Die roten Teppiche“ (1906) von Henri Matisse weist jedenfalls in eine andere Richtung.

Die obere Etage ist zum großen Teil den vielfach variierten Kopf-Bildern vorbehalten. Es gibt ganze Serien maskenhafter Häupter mit bannenden Blicken, aber auch kühl und konstruktiv „gebaute“ Köpfe, die gleichwohl träumerischen Ausdruck annehmen können.

Am Ende stehen Einkehr und schmerzliche Abwendung von der Welt: Der bereits schwer erkrankte Jawlensky nannte diese auf Grundlinien reduzierten Antlitze „Meditationen“. Sah man vorher oft beschwörend weit aufgerissene Augen, so sind diese nun stets geschlossen. Im Leid richtet sich der Blick nach innen.

Alexej von Jawlensky – Reisen, Freunde, Wandlungen. Museum am Ostwall, Dortmund. 16. August bis 15. November. Eintritt 13 DM, Katalog 49,80 DM.

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Zweifel an Jawlensky-Bild gesät

Dortmund. (bke) Vor einem halben Jahr hatte das Essener Folkwang-Museum eine Jawlensky-Ausstellung gezeigt, die etliche Fälschungen enthielt. Gestern weckte ein Beitrag in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) Zweifel an einem Bild, das ab 16.August in der Jawlensky-Schau des Dortmunder Ostwall-Museums zu sehen sein soll.

Es geht um die Arbeit „Heilandsgesicht: Die heilige Stunde – Letztes Schauen“, die aus einer Wiesbadener Privatsammlung nach Dortmund kommt. Hierbei handele es sich, so jedenfalls die FAZ, „um eine offensichtliche, bis hinein in die eigentlich zufällige Ausfransung von Pinselstrichen detailversessene Kopie des allerdings vom Kopisten nicht genau verstandenen“ Jawlensky-Bildes „Heilandsgesicht: Letztes Schauen“.

Ostwall-Kustos Tayfun Belgin, zuständig für die Dortmunder Schau, sagte gestern auf WR-Anfrage, er halte das Bild aus guten Gründen für echt. Jawlensky habe oft Kopien eigener Motive angefertigt und „leider manchmal auch schlechte Bilder“ produziert. Der FAZ-Beitrag erschöpfe sich in Behauptungen und bleibe Beweise schuldig.

(Meldung erschienen 11.8.1998)

 

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Über Bernd Berke

Langjähriger Kulturredakteur bei der Anfang 2013 verblichenen Westfälischen Rundschau (Dortmund), die letzten elf Jahre als Ressortleiter. Zwischenzeitlich dies und das, z. B. Prosaband „Seitenblicke" (edition offenes feld, 2021), vereinzelt weitere Buchbeiträge, Arbeit für Zeitschriften, diverse Blogs und andere Online-Auftritte. Seit 2011 hier. Und anderswo. Und überhaupt.
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