Wir-Gefühl durch die Musik? Dortmunder Festival „Klangvokal“ will sich am gesellschaftlichen Diskurs beteiligen

Titelmotiv des Klangvokal-Programmbuchs (©Sandra Spitzner_gerasimov174_shutterstock_1019676943)

Titelmotiv des „Klangvokal“-Programmbuchs (© Sandra Spitzner_gerasimov174_shutterstock_1019676943)

Ohne Motto geht es nicht mehr. Ein solches signalisiert Gedankentiefe, höhere Zusammenhänge, dramaturgische Kompetenz. Das Festival „Klangvokal“ in Dortmund mag da nicht zurückstehen: „Wir!“ steht in diesem Jahr über der elften Ausgabe vom 16. Mai bis 16. Juni.

Wo allerdings die Bedeutung dieses selbst bei wohlwollender Betrachtung ziemlich lapidaren Leitthemas liegen soll, wird nicht klar. Man wolle sich am aktuellen gesellschaftlichen Diskurs über Gemeinschaft und Solidarität beteiligen, heißt es. Nun denn! Die innere Spannung zwischen Ich und Wir, zwischen Uns und Euch, steckt in so ziemlich jeder Musik, von der virtuosen Bravourarie bis hin zum üppigen Klangfeld, in dem Einzelnes nicht mehr wahrnehmbar ist.

Entsprechend bunt gemischt sind auch die knapp zwei Dutzend Veranstaltungen. Wer der Oper den ersten Rang einräumt, wird sich auf Georges Bizets „Les Pêcheurs de Perles“ am 31. Mai im Konzerthaus freuen – eine Oper, die derzeit noch am Musiktheater im Revier in einer ambitionierten szenischen und musikalischen Realisation zu sehen ist.

Ekaterina Bakanova singt in George Bizets "Perlenfischern". Foto: Georg List

Ekaterina Bakanova singt in George Bizets „Perlenfischern“. (Foto: Georg List)

Ob die „internationale Topbesetzung“ mit der Russin Ekaterina Bakanova (Sopran), dem Italiener Francesco Demuro (Tenor) und dem US-Amerikaner Lucas Meachem (Bariton) der Musik Bizets stilistisch gewachsen ist, wird man hören.

Auftakt am 16. Mai gehört der Oper

Auch der Auftakt des Festivals gehört der Oper. Am 16. Mai singen Anna Pirozzi (Sopran), in Deutschland selten zu erleben, dafür im Sommer in der Arena di Verona und im Herbst als Lady Macbeth an der Met, und Teodor Ilincai (Tenor), zuletzt in „Madama Butterfly“ an der Wiener Staatsoper, „unsterbliche“ Arien und Duette – und man darf davon ausgehen, dass die üblichen Reißer das Publikum im Konzerthaus in Raserei versetzen.

Weniger populär, dafür mit subtileren Noten, verspricht die konzertante Aufführung von Georg Friedrich Händels früher Oper „Agrippina“ am 8. Juni im Orchesterzentrum NRW ein Genuss für Liebhaber zu werden: Christophe Rousset bringt das exzellente Ensemble Les Talens Lyriques mit; in der Titelrolle debütiert die spanische Mezzosopranistin Maite Beaumont.

Noch zwei Mal Händel hat das „Klangvokal“-Festival im Programm: Die Mezzosopranistin Vivica Genaux – 2017 mit dem Händel-Preis ausgezeichnet – präsentiert am 30. Mai mit der Lautten Compagney Berlin und Countertenor Lawrence Zazzo im Orchesterzentrum NRW ein Programm mit dem zeitgeistigen Titel „Gender Stories“: Das 18. Jahrhundert hatte die „künstliche“ Gestaltung von Geschlecht und Rolle zum Prinzip erhoben und so ergeben sich erstaunliche Parallelen zu den „konstruierten“ Geschlechtern von heute und den mit ihnen verbundenen Rollen. Händel und seine Zeitgenossen setzten Kastrat, Frau und Mann nach Konventionen ein, die am natürlichen Geschlecht der Darsteller kein Interesse hatten.

Chormusik vom Feinsten

Den Abschluss der Händel-Trilogie bildet eine „Barockfeier de luxe“ mit illustren Gästen aus Großbritannien: Das britische Topensemble „The King’s Consort“ und die Sopranistin Carolyn Sampson lassen am 14. Juni in der Maschinenhalle der Zeche Zollern Händels Heroinen lebendig werden.

Der Lettische Rundfunkchor. Foto: Bülent Kirschbaum

Der Lettische Rundfunkchor. (Foto: Bülent Kirschbaum)

Auch wer die Chormusik – geistlich oder weltlich – liebt, wird beim „Klangvokal“ auf seine Kosten kommen: Das Konzert mit dem Chor des Lettischen Rundfunks in der St. Reinoldikirche verspricht am 16. Juni Gesangskultur vom Feinsten. Davor schon singt am 26. Mai das Vocalconsort Berlin in der Marienkirche unter dem Titel „Psalmen Davids“ die entsprechenden Vertonungen des flämischen Renaissance-Meisters Orlando di Lasso.

Mit geistlicher Musik aus Europa präsentiert sich am 1. Juni in der Propsteikirche der Jugendkonzertchor der Chorakademie Dortmund unter Felix Heitmann. Am 9. Juni ist in der St. Nicolaikirche mit dem von Hans-Christoph Rademann gegründeten und geleiteten Dresdner Kammerchor ein Spitzenensemble mit A-cappella-Chorwerken von Johannes Brahms über Gustav Mahler bis John Cage zu Gast.

Am Samstag, 15. Juni, zeigen mehr als 150 Chöre und Vokalensembles aus Dortmund und Umgebung zum elften Mal auf Open-Air-Bühnen, an Singhaltestellen, in Kirchen, in der U-Bahn und in Geschäften zwischen der St. Reinoldikirche und der St. Petrikirche ein breites Spektrum vokaler Ausdruckformen vom klassischem Volkslied und Chorsatz bis zu Schlager, Shanty, Jazz- und Popsong. Das 11. „Fest der Chöre“ ist nach Auskunft der Veranstalter Deutschlands größtes städtisches Chorfest.

Daneben offeriert das Festival von Jazz- bis Weltmusik ein breites Spektrum an Musikveranstaltungen für jeden Geschmack: Ob Jordi Savall mit seiner „Hommage an Syrien“, einem „Klangdialog zwischen Juden, Christen und Muslimen“ am 19. Mai im Konzerthaus, ob alte und neue Gospels mit der afro-amerikanischen Sängerin Michelle David und ihrer Gruppe „The Gospel Sessions“ am 24. Mai in der Pauluskirche, ob Soul aus den Niederlanden mit der Sängerin Kovacs am 6. Juni im Freizeitzentrum West in der Ritterstraße am Dortmunder U oder arabisch-andalusischer Jazz aus Valencia mit dem Trio NES im Jazzclub Domicil am 7. Juni.

Vorverkauf über das Internet-Portal www.klangvokal.de, telefonisch unter 01806/57 00 70, bei allen bekannten VVK-Stellen und bei Dortmund-Tourismus, Kampstr. 80, 44137 Dortmund.

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Über Werner Häußner

Redakteur, Musikkritiker, schreibt u.a. für WAZ (Essen), Die Tagespost (Würzburg), Der Neue Merker (Wien) und das Online-Magazin www.kunstmarkt.com.
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