Spielarten des Rock beim Dortmunder Westend-Festival

Crashkurs durch die Spielarten des Rock gefällig? Das Musikmagazin Visions hat die selbst gestellte Aufgabe beim Westend-Festival am Freitag und Samstag im FZW im jeweils flotten Dreiklang gelöst – mit so unterschiedlichen Künstlern wie Thees Uhlmann, Therapy? und Maximo Park. Da konnten selbst die Toten Hosen nicht Nein sagen.

Thees Uhlmann im FZW Dortmund. Foto: Normen Ruhrus

Thees Uhlmann im FZW Dortmund. Foto: Normen Ruhrus

„Ich weigere mich, die Regel zu akzeptieren, dass es eine Korrespondenz gibt zwischen Rock’n’Roll und älter werden.“ Thees Uhlmann, Jahrgang 1974, liefert am Freitag im FZW den passenden Auftritt zu seinen Worten: Triefend vor Schweiß, die schwarze Lederjacke längst in die Ecke gepfeffert, stürzt er sich mit unverminderter Energie als selbsternannter „ältester Newcomer Europas“ in jedes Lied seines ersten Soloalbums, sei es die Erfolgssingle „Zum Laichen und Sterben ziehen die Lachse den Fluss hinauf“ oder „17 Worte“. Wer beim Hören der CD vielleicht noch skeptisch war, wird live mitgerissen von dem eingängigen, poppigen Sound und den ohrwurmfreundlichen Melodien. Die müssen auch die Toten Hosen überzeugt haben: Die Düsseldorfer Punkrocker mischen sich munter unter das Publikum.

Anfangs verfällt der Tomte-Mann ab und zu noch in seinen leicht nöligen, monotonen Gesang, erreicht aber zunehmend mehr Prägnanz und
Kraft. Uhlmann redet mit dem Publikum, als wäre es in seinem Wohnzimmer: „Ich bin die Ina Müller des deutschen Indie-Rock.“ Sicherlich sind seine Lyrics und die Haltung, die keine Angst vor Kitsch kennt, Geschmackssache. Aber: Thees Uhlmann und seine bemerkenswerte Band sind authentisch und emotional – die Bruce-Springsteen-Pose auf dem Poster im Hintergrund ist kein Zufall.

Felix Brummer von Kraftklub beim Westend-Festival im FZW. Foto: Normen Ruhrus

Felix Brummer von Kraftklub beim Westend-Festival im FZW. Foto: Normen Ruhrus

Klare Kante zeigen auch Kraftklub: Die Jungs aus Chemnitz haben sich beim Bundesvision Song Contest Platz 5 geangelt – und bringen auch im FZW die Leute zum Toben. Gegen die reflektierenden Momente von Thees Uhlmann setzen sie eine anti-intellektuelle,
brachiale Mischung aus Rock und Rap, immer mit mächtig selbstironischer Attitüde. In einer Linie stehen sie fast militärisch, allesamt gleich gekleidet in College-Jacken, Polohemden und roten Hosenträgern – Frontmann Felix Brummer salutiert gar zur Begrüßung – und positionieren sich zur Melodie von Becks „Loser“  als Verlierer aus Karl-Marx-Stadt, die in einem anderen Lied auf keinen Falls ins hippe Berlin wollen. Rotzig, erdig, dreckig sind die fünf, die treibende, tanzbare Rhythmen in die Körper ihrer Zuhörer schießen.

Andy Cairns, Sänger der Band Therapy?, beim Auftritt im FZW bei dem Westend-Festival von Visions. Foto: Normen Ruhrus

Andy Cairns, Sänger der Band Therapy?, beim Auftritt im FZW bei dem Westend-Festival von Visions. Foto: Normen Ruhrus

 

 

Nach dieser Demonstration deutscher Spielarten gilt das Scheinwerferlicht am Samstag internationalem Rock: Zurück in die 90er Jahre katapultiert „Therapy?“ die Fans mit der Live-Wiederbelebung ihres Erfolgsalbums „Troublegum“ – das sie so laut in die große Halle knallen lassen, dass es einem fast die Ohren wegfegt. Die nicht ganz so perfekte Aussteuerung lässt Andy Cairns Stimme manchmal sogar leider untergehen in dem martialischen Klanggewitter. Beim Publikum aber kommt vor allem eins an: Der dämonisch schauende und brüllende Cairns, der hüpfende Bassist Michael McKeegan und Schlagzeuger Neil Cooper haben Lust auf den Live-Moment, feuern den Pogo mit „Screamager“ oder dem Joy Division-Cover „Isolation“ an – möglicherweise ein bisschen Retro, aber voller Druck.

Paul Smith von Maximo Park beim Westend-Festival im FZW. Foto: Normen Ruhrus

Paul Smith von Maximo Park beim Westend-Festival im FZW. Foto: Normen Ruhrus

Neuzeitlichen Indie Rock werfen die Briten von Maximo Park in die Runde – und auf sie hat die Menge gewartet, feiert sie mit hochgereckten
Armen, die Refrains mitsingend. Der charmante Sänger Paul Smith kann sich auf seine Fans sogar so sehr verlassen, dass ihm Laura aus Reihe eins mit der erste Liedzeile von „Kiss me better“ aushilft – schließlich hat der einzige Deutschland-Auftritt 2011 die Jungs mitten aus ihrer Arbeit am neuen Album gerissen. Sonst aber ist ihnen keinerlei Schwäche anzumerken – ganz im Gegenteil: Im Anzug, eine Nelke im Knopfloch, schwankend zwischen Alex aus „Clockwork Orange“ und dem Witz von Monty Python, genießt Paul Smith den großen Auftritt, tanzt, spielt, reißt die Augen auf, flirtet, umarmt die Menge, ist mit Leib und Seele da. Zusammen mit seinen großartigen Musikern bringt er harmonische Melodien, treibende  Rhythmen und einen durchaus fordernden Gesangsfluss zusammen. Ob nun die Hits wie „Books from Boxes“ oder „Girls who play guitar“ durch die Halle fegen oder eine der ganz frühen B-Sides – die Zuschauer tanzen und feiern. Erst recht, als die Band einen Vorgeschmack auf das neue Album gibt, mal ganz intensiv und gesangsfokussiert, dann stark rhythmisiert und mitreißend. „Ich hoffe, wir sehen uns nächstes Jahr“, ruft Paul Smith am Ende glücklich – die Fans werden kommen.

Bei so viel Stärke werden die jeweils ersten im Bunde, am Freitag Imaginary Cities, am Samstag Japanese Voyeurs, eher zum Vorgeplänkel –
die ersten spielerisch und gut gelaunt, die anderen hart und grungig.

 

(Dieser Artikel ist in ähnlicher Form in der Westfälischen Rundschau erschienen).

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