Aktion im Gefrierzustand – Fluxus-Kunst aus der Sammlung von René Block in Wuppertal

Von Bernd Berke

Wuppertal. Was ist „Fluxus“? In dem Begriff, der eine herrschende Kunstrichtung der 60er Jahre bezeichnet, steckt das lateinische Wort für „fließen“. Aha. Eine Kunst, die alles in Fluß hält? Doch der Künstler Robert Watts, der im Katalog der Wuppertaler Fluxus-Ausstellung zitiert wird, stiftet Verwirrung: „Das Wichtigste an Fluxus ist. daß niemand weiß, was es ist.“ Den Satz nimmt man amüsiert zur Kenntnis. Aber man kann sich nicht damit begnügen.

Rund 140 Arbeiten, darunter viele Relikte von Aktionen, versammelt die Schau in der Barmer Kunsthalle. Die Exponate stammen aus dem Fundus von René Block, der von 1964 bis 1979 mit seiner Berliner Galerie dem Fluxus aufhalf. Blocks Sammlung schlummert ansonsten in dänischen Lagerräumen, eine dauerhafte Heimstatt wird noch gesucht.

1993 war eine Auswahl in Nürnberg zu sehen. Wuppertals Kunst- und Museumsverein holt nun, zu seinem 50jährigen Bestehen, rund die Hälfte der Kollektion ans Licht; nicht ohne Hintergedanken: Mit der legendären Galerie „Parnass“ zählte die Schwebebahn-Stadt einst zu den Fluxus-Zentren. Joseph Beuys war hier häufig zu Gast.

Ein Raum der Ausstellung ist denn auch Beuys gewidmet. In einer Vitrine sieht man allerlei Kehricht samt Besen – Überbleibsel einer Berliner Fege-Aktion von 1972. An der Wand hängt einer jener berühmten Filzanzüge. Hinter Glas: Fettecken, eine „Sauerkraut-Partitur“ mit ganz strohig gewordenen Kohl. Dazu gibt’s Tafeln mit Lehrsätzen des Meisters, einen Konzertflügel, einen Schlitten (Zeugnis der Aktion, bei der sich Beuys tagelang mit Koyoten einsperren ließ).

Konservatoren haben heute alle Hände voll zu tun, vergängliche Erscheinungen wie Fettecken zu bewahren. Andererseits hat der Verfall seinen speziellen Charme. Klar ist: Solche Gegenstände, die in lebendiger Aktion verwendet wurden und dabei spät-dadaistisch anmutenden (Un-)Sinn entfalteten, sind im Museum nur noch tote Materie. Fluxus im Gefrierzustand. Gerade im Falle Beuys werden die Relikte für viele Bewunderer gar zu weihevollen Reliquien.

Dennoch spürt man, welch eine sprühend vitale Kunst hier am Werke gewesen sein muß: eine, die offen war für jede spontane Eingebung und die niemals „fertig“ und abgerundet sein wollte.

„… sonst sind Sie nur ein Zugucker“

Durch fröhliche Flüchtigkeit hoffte man, sich dem Kunstmarkt und den Museen zu entziehen. Grenzen zwischen den diversen Künsten und erst recht zwischen Kunst und Leben hat man geflissentlich ignoriert. Eine museale Einfriedung ist also ziemlich paradox.

Arbeiten von Nam June Paik bilden einen weiteren Schwerpunkt. Seine oft hintersinnig-meditative Medienkunst („Buddha, eine Kerze betrachtend“ / „Zen-Koffer“) mit in Ehren gealterten Radios, Vinyl-Schallplatten, TV-Geräten und Plunder des Alltags, ist freilich weit entfernt etwa von Artur Köpckes labyrinthischen Schrift-Comic-Collagen.

Überhaupt wurde in jener Zeit viel collagiert, gebastelt und auf Bildtafeln geschrieben. Mit dem herkömmlichen Malen hatte man es nicht so sehr. Es galt als bürgerlich.

Köpcke verdeutlicht die Fluxus-typische Offenheit mit diesem monströsen Werktitel: „Sie nehmen nur teil, wenn Sie dieses Aktionsstück, dieses Prinzip fortsetzen, sonst sind Sie nur ein Zugucker.“ Gemeint war, daß die Ausstellunsgbesucher seinem Werk immer weitere Taschentücher und Zettel hinzufügen sollten.

Kunst ohne Ende. Man sollte also nicht passiv bleiben. Wie hieß noch das Beuys-Bekenntnis? „Jeder ist ein Künstler.“ Bis zum Beweis des Gegenteils.

Kunsthalle Wuppertal-Barmen. Geschwister Scholl-Platz. Bis 1. Dezember. Geöffnet Di-So 10-17 Uhr, Do 10-21 Uhr.

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Über Bernd Berke

Langjähriger Kulturredakteur bei der Anfang 2013 verblichenen Westfälischen Rundschau (Dortmund), die letzten elf Jahre als Ressortleiter. Zwischenzeitlich dies und das, z. B. Prosaband „Seitenblicke" (edition offenes feld, 2021), vereinzelt weitere Buchbeiträge, Arbeit für Zeitschriften, diverse Blogs und andere Online-Auftritte. Seit 2011 hier. Und anderswo. Und überhaupt.
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