Beklemmung und Freiheit – Kunst bei den Ruhrfestspielen: Kawamatas Holzbauten mit dem Titel „Bunker“

Von Bernd Berke

Recklinghausen. Reges Treiben in der Recklinghäuser Kunsthalle. Offenbar wird der ehemalige Luftschutzbunker erneut umgebaut, denn aus den Fenstern im zweiten Stock schauen ja schon Gerüstbretter. Doch selbst oberflächliche Kenner der strikten deutschen Bauvorschriften schütteln gleich den Kopf. Diese fragile Holz-Anordnung mißachtet alle technische Vernunft. Es muß etwas anderes im Spiel sein.

Das im Wortsinne „Heraus-Ragende“ ist ein Freiluft-Ausläufer der dreiteiligen Großinstallation, die der japanische Künstler Tadashi Kawamata (42) in die Kunsthalle eingebracht hat. Der zweifache documenta-Teilnehmer, der 1992 ein ganzes Holzhüttendorf in die idyllische Kasseler Karlsaue stellte, hat sich in Recklinghausen mehrfach inspirieren lassen: von Herkunft und üblicher Bestimmung des verwendeten Grubenholzes, aber auch von der Bunker-Vergangenheit der Kunsthalle. Und damit spielt schließlich das Friedensmotto des Auftraggebers, der Ruhrfestspiele, indirekt mit hinein.

Im Erdgeschoß müssen größere Menschen die Köpfe einziehen, so niedrig hat Kawamata, ein Virtuose der Raum-Verwandlung, die Holzbohlen kreuz und quer in die Schwebe gehängt. Ein unterschwelliges Gefühl von Bedrängnis kommt auf, als befinde man sich tatsächlich in einem Stollen oder „Bunker“. So heißt denn auch das Gesamtwerk, das sich über drei Stockwerke erstreckt und aus insgesamt 20 Kubikmetern verschraubten und verdübelten Holzes besteht. Nach Schluß der Schau wird übrigens alles zerstört und somit dem Kunsthandel entzogen. Kawamata lebt in erster Linie vom Verkauf der Plan-Graphiken, die auch in Recklinghausen, angeboten werden – zum Vorzugspreis von 150 DM.

Mit dem Licht verändert sich die Ansicht

In der ersten Etage verdichtet sich die beengte Atmosphäre. Dort hat der Künstler eine komplette hölzerne Zwischendecke einziehen lassen. Wie Striche eines informellen Bildes fügen sich die vielen Bretter zusammen. Das Material ist spröde und schroff, roh und rissig, man sieht etliche Ausfaserungen. Die Ansicht verändert sich, je nach Lichteinfall. Aus bestimmten Blickwinkeln merkt man zudem, wie die Hölzer, als seien es magnetisierte Späne, Richtung aufnehmen. Die scheinbar ungefügten Bestandteile geraten miteinander in optische Bewegung, in einem dynamischen Sog, der den ersten Eindruck der Enge überschreitet und nahezu aufhebt. Man fühlt sich zwar immer noch verunsichert. bekommt aber auch eine Ahnung von Freiheit, die in solcher Irritation stecken könnte.

Nochmals gesteigert und anders austariert wird derlei geistige Grenzgängerei im zweiten Stock. Kawamata hat dort, mit allerlei Verstrebungen und geschichteten Holzstößen, kleine Passagen errichtet, die allerdings noch nicht nach draußen führen, sondern vor die düstere Wand. Man muß erst eine Treppe besteigen (Kunsthallenchef Ferdinand Ullrich: „Auf eigene Gefahr“), um aufs oberste Deck der Installation zu gelangen.

Droben wird einem wiederum etwas mulmig zumute. Man stakst vorsichtig herum, den Blick immer zu Boden geheftet, denn an etlichen Stellen sind zwischen den Brettern Löcher belassen, durch die man hinunterfallen könnte. Doch ganz hinten, an der Fensterfront, strebt die Konstruktion endlich ins Luftige hinaus. Ein Gefühl wie vorn auf der Klippe. Auch das also kann Freiheit bedeuten: riskante Lockung.

Kawamata: „Bunker“. Ausstellung der Ruhrfestspiele in der Kunsthalle Recklinghausen (am Hauptbahnhof). Bis 2. Juli, Di-Fr. 10-18 Uhr. Sa./So. 11-17 Uhr. Katalog 35 DM.

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Über Bernd Berke

Langjähriger Kulturredakteur bei der Anfang 2013 verblichenen Westfälischen Rundschau (Dortmund), die letzten elf Jahre als Ressortleiter. Zwischenzeitlich dies und das, z. B. Prosaband „Seitenblicke" (edition offenes feld, 2021), vereinzelt weitere Buchbeiträge, Arbeit für Zeitschriften, diverse Blogs und andere Online-Auftritte. Seit 2011 hier. Und anderswo. Und überhaupt.
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