Geisterbahn der traurigen Puppen – Bonner Bundeskunsthalle zeigt die Todesahnungen der Schweizerin Eva Aeppli

Von Bernd Berke

Bonn. Zuerst kommt man an Schädelstätten vorbei. Mal vereinigen sich die Totenköpfe zum reißenden Fluß. dann grinsen sie frech oder tanzen einen makabren Tango. Ein Alptraum? Eine Ausstellung!

Gegen Ende der 60er Jahre hat die Schweizerin Eva Aeppli (geboren 1925) begonnen, solche Totentanz-Visionen mit handgenähten Puppen auszudrücken. Die haben zwar – im Vergleich zu den gemalten Gebeinen – ein wenig „Fleisch“ (sprich: Stoff) angesetzt, wirken aber ebenfalls so ausgemergelt, als wollten sie gleich ins Grab sinken. Solche todessüchtigen Puppen hat man noch nirgendwo gesehen. Kein Spielzeug.

Die Bundeskunsthalle in Bonn widmet Eva Aeppli eine bemerkenswerte Werkübersicht. Über jeder einzelnen Arbeit könnte die christliche „Vanitas“-Formel stehen – die Erinnerung daran, daß wir alle jederzeit aus dem Leben gerissen werden können. Es sind also Variationen auf ein altes Thema der Künste.

Die Puppengestalten sind stets so angeordnet, daß sie den Blick des Betrachters aus schrägen Winkeln „einfangen“. Unweigerlich erschrickt man. In einer großen Installation sitzen 13 Figuren an einem langen Tisch – ähnlich wie beim biblischen Abendmahl, aber ohne jegliche Speise. Man kommt nicht an dieser Tafel vorüber, ohne das verhärmte Elend in leeren Augenhöhlen wahrzunehmen, ohne auch sarkastisch starrende Blicke der erschlafften Puppen zu spüren, so als wollten diese Hinfälligen sagen: „Warte, du bist auch bald an der Reihe“. Die Kleiderfarben – schmutzig dunkles Violett, verwaschene Oliv- und Orangetöne – verstärken die Todesahnung.

Chorgesang oder kollektiver Schrei?

Hat man dies alles hinter sich gebracht, so steht man plötzlich wie gebannt vor der geballten Macht von 48 überlebensgroßen, völlig schwarz gewandeten Puppen, die ihre Münder zum Chorgesang (oder zum kollektiven Schrei?) weit aufgerissen haben. Ein monumentales, grandioses Schreckbild.

Es gibt scheinbar ruhigere Stationen im Rundgang, den man als Geisterbahn oder gar als Kreuzweg auffassen könnte. Eva Aeppli hat die Planeten und die Tierkreiszeichen als vergoldete Häupter, als Bronze- oder Stoff-Gesichter gestaltet und sie auf Podeste gestellt. Erhaben und feierlich wirken diese astronomischen und astrologischen Kopf-Serien. Doch nur von weitem: Tritt man näher heran, so bemerkt man auch hier: vernähte Antlitze, wie nach schweren Operationen, verquollene Schädelformen, verzerrte Münder, gebrochene Augen.

Schließlich „Les Amoureux“ (Die Liebenden) von 1988/89. Zwei nun offenbar wirklich harmlose Figuren. Doch wenn man weiß, daß Eva Aeppli hier ihren Ehemann, den inzwischen verstorbenen Künstler Jean Tinguely, in trauter Zweisamkeit mit seiner nicht minder berühmten Kollegin Niki de Saint Phalle darstellt, verspürt man erneut einen Schauder. Sie zeigt ja das Glück der eigenen Rivalin! Ein Bild des erotischen Wechsels, bei dem sie selbst zurückbleibt, nur noch zuschaut und nachgestaltet. Und doch wird kein Bannfluch daraus, sondern ein gefaßter Blick ins Unvermeidliche.

Eva Aeppli – Bundeskunsthalle Bonn, Friedrich-Ebert-Allee 4 – Bis 15. Januar 1995, Di-So 10-19 Uhr. Eintritt 8 DM (ermäßigt 4 DM). Katalog 35 DM.

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Über Bernd Berke

Langjähriger Kulturredakteur bei der Anfang 2013 verblichenen Westfälischen Rundschau (Dortmund), die letzten elf Jahre als Ressortleiter. Zwischenzeitlich dies und das, z. B. Prosaband „Seitenblicke" (edition offenes feld, 2021), vereinzelt weitere Buchbeiträge, Arbeit für Zeitschriften, diverse Blogs und andere Online-Auftritte. Seit 2011 hier. Und anderswo. Und überhaupt.
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