Monatsarchive: September 1994

Dortmunds etwas andere Buchmesse – Schau mit 3000 Bänden im Harenberg City-Center

Von Bernd Berke

Dortmund. Wir alle kennen den Reklamespruch aus dem Fernsehen. Hier die von Schleichwerbung bereinigte Fassung: „Für die einen ist es ,Mh-mh‘, für die anderen ist es die längste Praline der Welt“. Die Formel ist auf ein neues Kulturereignis anwendbar: Für die einen ist es eine Bücherschau, für die anderen ist es die „1. Dortmunder Buchmesse“… Mal ehrlich, verdient sie diesen Namen?

Lokalstolz beiseite. Wenn man nüchtern Zahlen vergleicht, wird schon einiges klar: Die Veranstaltung im City-Center des Dortmunder Harenberg-Verlages präsentiert jetzt rund 3000 Bücher, in der nächsten Woche werden auf der Frankfurter Buchmesse (an der Harenberg seit Jahren nicht mehr teilnimmt) etwa 320.000 Bände gezeigt. In Dortmund sind etwas über 200 deutschsprachige Verlage vertreten, hinzu kommen Anbieter … Weiterlesen

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Dieser „Woyzeck“ sollte sich mal um die Papiertiger kümmern – Jürgen Bosse inszeniert Büchners Stück in Essen

Von Bernd Berke

Essen. Die Bühne ist grau, und das Spiel dauert 90 Minuten. Am Ende steht es bei Büchners „Woyzeck“ im Essener Grillo-Theater gewissermaßen immer noch unentschieden. War’s denn spannend?

Woyzeck wird bekanntlich von Militär und Medizin mißbraucht, seiner Menschenwürde schändlich beraubt. Am Ende treibt ihn seine Geliebte Marie in mörderische Eifersucht hinein. Kein Hund möchte so leben. Das immer noch verstörende Stück von 1836/37 deutet auf Greuel des 20. Jahrhunderts weit voraus.

Doch in Essen, wo sich zum Saisonauftakt Schauspielchef Jürgen Bosse des fragmentarischen Dramas annimmt, ist es offenbar halb so schlimm. Der klobige Woyzeck (Matthias Kniesbeck) muß, so scheint es, weniger leiden. Denn rings um diesen Riesenkerl gibt es hier nur Popanze und Papiertiger. Der Doktor (Klaus-Peter … Weiterlesen

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Auf übermalten Bildern sieht man mehr – Arnulf Rainer, sein „Markenzeichen“ und die brachialen Witzbolde von Wien

Von Bernd Berke

Recklinghausen. Solche Kapriolen schlägt der Kunstbetrieb: Da hat Arnulf Rainer sich zum Markenzeichen erkoren, fremde Bilder zu übertünchen – und dann kommen just in seiner Heimatstadt Wien schurkische Scherzkekse daher, die seine längst teuer gehandelten Übermalungen ihrerseits übermalen. Jetzt sind 64 Arbeiten Rainers in Recklinghausen zu sehen – willkommene Lehrstücke zu einer Geschichte, die sich wie ein Witz anhört.

Arnulf Rainer (Jahrgang 1929) ist nicht irgendein vom Markt gehätschelter Schmierfink, der sich über die Sachen anderer Leute hermacht und sie wahllos zukleistert. Die Übermalung ist zunächst sein probates Mittel, die in der Malerei seit jeher grassierende Angst vor der leeren Leinwand zu überspringen. Außerdem verwendet Rainer als Bildgrund fast immer Reproduktionen, z. B. von Fotos oder alten … Weiterlesen

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Konkursrichter über das eigene Leben – „Die Sache mit dem Hund“ von Lars Gustafsson

Von Bernd Berke

Konkursrichter lenken für gewöhnlich die (Lebens)-Pleiten anderer Leute in juristische Bahnen. In Lars Gustafssons neuem Buch „Die Sache mit dem Hund“ muß ein solcher Richter über die eigene Biographie befinden.

Der Ich-Erzähler lebt, wie übrigens der schwedische Autor seit Jahren auch, bei Austin (Texas/USA). Er steht kurz vor seiner Pensionierung und hat somit Anlaß zur Zwischenbilanz. Von seiner Frau, die dem Alkoholismus zuneigt, lebt er in gemessener Alltagsdistanz. In ihrer beider Haus am Strom, der manchmal bedrohlich über die Ufer tritt, erlebt er buchstäblich den Fluß der Zeit. Während dies allmähliche Verrinnen die Stimmung des Buches elegisch grundiert, kommt es zu deutlicheren Konflikten.

Der rätselhafte Tod des vor langer Zeit aus Holland zugewanderten Nachbarn und Philosophie-Professors Van … Weiterlesen

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Die weichen Früchte des Zorns – Karikaturen von Marie Marcks in Dortmund

Von Bernd Berke

Dortmund. Ihre erste Karikatur hat sie in einer Schulstunde angefertigt – ein Zerrbild des Lehrers, der stets in SA-Uniform zum Unterricht erschien. Die Sache flog auf. Marie Marcks mußte bekennen. Doch der Pauker reagierte andere als befürchtet: „Darf ich die Zeichnung behalten?“ fragte er fast kleinlaut. Für einen Moment vergaß er, daß er Nazi war.

Marie Marçks (72) ist heute längst eine der bekanntesten Karikaturistinnen der Republik. Die zitierte Geschichte hat sie gestern im Dortmunder Museum für Kunst und Kulturgeschichte erzählt. Dort ist nun ihre bislang größte Einzelausstellung mit rund 300 Bildern zu sehen.

Kurz nachdem Krieg hat sie sich noch am damals übermächtigen Vorbild Saul Steinberg orientiert. Damals waren ihre Arbeiten noch etwas starr. Später kam … Weiterlesen

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Jedes Fundstück kann zur Kunst beitragen – Arbeiten von Helga Hanisch in Siegen

Von Bernd Berke

Siegen. „Die Süße“ blickt ganz treuherzig. Zwar hat sie eiserne Augen, doch dies hätte man ihr denn doch nicht zugetraut: Ihr Rumpf besteht aus dem hölzernen Griff eines Gewehrs. Ist sie gar nicht so friedfertig?

Das widersprüchliche Mädchen steht in der neuen Ausstellung des Siegener Kunstvereins. Helga Hanisch (40) gibt ihren Bildern, Objekten und Installationen eben gern Titel, die im Kontrast zum Augenschein stehen.

Sie gehört zur Menschengattung der Sammler: „Ich hebe buchstäblich alles auf.“ Einen wahren Schrottplatz habe sie bei sich daheim im Kunst-Bahnhof Dingden (nahe Bocholt) angehäuft. Manche Dinge blieben jahrelang unbenutzt liegen – bis plötzlich ein Ideenfunke auf sie übersprang.

Das Kind muß natürlich auch einen Namen haben: „Packing Art“ nennt Frau Hanisch ihr … Weiterlesen

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Kritiker-Clan ist sich einig: Manche Theater im Revier gibt’s gar nicht

„Ruhrgebiet – Randgebiet“. So könnte der Negativ-Slogan zur neuen Kritikerumfrage der Fachzeitschrift „Theater heute“ lauten. Denn bei der Frage nach den besten Leistungen der letzten Saison existiert das Revier praktisch nicht.

Nur Karsten Schiffers Bochumer Produktion „Brennende Finsternis“ wird im Jahresheft mehrfach lobend erwähnt – und das wohl auch nur, weil sie beim Berliner Theatertreffen zu begutachten war. Eine Produktion mit Schauspielschülern als einzige Zierde einer ganzen Region. Das ist eine schallende Ohrfeige für alle hiesigen Theatermacher.

Schlimmer noch: In einem Extra-Beitrag über die NRW-Theater werden Dortmund, Essen und das Westfälische Landestheater gleich völlig übergangen. Sind es Phantom-Bühnen? Da kann Roberto Ciulli (Mülheim) beinahe noch von Glück sagen, denn seine Arbeit wird immerhin als Ärgernis zur Kenntnis genommen. Und über … Weiterlesen

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In der Studierstube steckt die ganze Welt – Duisburger Ausstellung über den Kartographen Mercator

Von Bernd Berke

Duisburg. Es gab einen Mann in Duisburg, der setzte kaum einmal den Fuß vor die Tore der Stadt – und kannte die Gestalt der Erde doch genauer als jeder Zeitgenosse. Seine Reisen machte er im Kopf.

Mercator war’s, der große Kartograph, der in seiner Werkstatt das Gesicht der Welt so exakt zeichnete wie keiner zuvor. Am 2. Dezember 1594 – vor rund 400 Jahren – ist er in Duisburg gestorben. Jetzt erinnert die Stadt mit einer Ausstellung an den berühmten Bürger.

Eigentlich hieß der 1512 in Rupelmonde (Ostflandern) geborene Mann Gerard Cremer, doch damals war es unter Wissenschaftlern Brauch, sich altsprachliche Namen zu geben. Folglich nannte er sich Mercator (lateinisch für Krämer/ Händler), was ja auch viel … Weiterlesen

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Bitteres Märchen zwischen Kloake und Herrgottswinkel – Werner Schwabs „Die Präsidentinnen“ in Dortmund

Von Bernd Berke

Dortmund. „Bis zu den Achselhaaren“ langt das Mariedl in die Kloschüsseln hinein. Verstopfungen zu beseitigen, das ist ihr dreckiger Job. Sie ist mächtig stolz, daß sie alles ohne Gummihandschuhe erledigt.

Menschen mit niedriger Ekelschwelle werden in Werner Schwabs Stück „Die Präsidentinnen“ öfter ein würgendes Gefühl in der Kehle spüren. Der Text suhlt sich in Fäkalien. Und er schraubt seine absonderlichen Ferkeleien, wie beim früh verstorbenen Fließbandschreiber Schwab (1958-1994) üblich, mit gedrechselten Formulierungen ins Existentielle hoch. Aber es sind doch nur Worte, Worte, Worte. Völlig synthetisch und daher im Grunde klinisch sauber.

In Dortmund, wo Johannes Zametzer inszeniert, spielt das Ganze dennoch im dunklen Keller der Armut – vor einer Kohlenhalde und Haufen schmutziger Wäsche (Ausstattung: Tobias Wartenberg).… Weiterlesen

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