Monatsarchive: Juni 1992

Wenn es den Künstler übermannt – üppige Werkschau über Max Klinger in Wuppertal

Von Bernd Berke

Wuppertal. Eine Dame liegt nackt am Strand, hingegossen wie auf einer billigen Postkarte. Da kommt Besuch: ein paar Vögel, darunter zwei Marabus, mit langen Schnäbeln und gierig-spöttischem Blick. Da frage jemand, wofür die Schnäbel auf dem Bild „Gesandtschaft“ symbolisch stehen könnten.

Das Pendant sind jene Krebsscheren, die beinahe zärtlich Gegenstände in sich hineinsaugen. Von dieser fiebrig-feuchten Art sind viele Bilder des Max Klinger (1857—1920). Sigmund Freud, des Künstlers Zeitgenosse in einer Epoche sexueller Unterdrückung, ist stets in der Nähe. Wuppertals Von der Heydt-Museum zeigt jetzt einen in Leipzig konzipierten Klinger-Überblick mit Gemälden, Graphik, Zeichnungen und Skulpturen, angereichert um Eigenbesitz.

Es ist ein späte, ja überreife Frucht des einstigen Kulturabkommens zwischen Bundesrepublik und DDR. Der gebürtige Leipziger Klinger … Weiterlesen

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Eric Clapton: Auf dem Gipfel des Gitarrenspiels / Dortmunder Publikum am Rand der Raserei

Von Bernd Berke

Dortmund. Untrügliches Kennzeichen für einen Klasse-Gitarristen: Er dreht sich auch bei heiklen Passagen nicht vom Publikum weg. Und er macht keine abenteuerlichen Verrenkungen, um als Gitarrero zu imponieren. Wer jetzt in der ausverkauften Westfalenhalle gesehen hat, wie souverän Eric Clapton die irrwitzigsten Läufe „wegspielt“, weiß Bescheid.

Dieser Mann, seit „Yardbirds“-Zeiten Mitte der 60er Jahre ein Denkmal des Rock, gehört nach wie vor zur Weltelite seines Instruments. Wo andere wie auf einem Hackbrett herumfuhrwerken, entlockt Clapton der Gitarre immer neue Singstimmen. Und er trieb damit sein Dortmunder Publikum nach und nach bis an den Rand der Raserei. Auch eine Vorgruppe wie die Leute um Tony Joe White mit ihrem durchaus soliden Südstaaten-Rock verblaßte da nachträglich zur Dutzendware.

„Clapton … Weiterlesen

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Documenta-Splitter: Große Schau mit ein paar Macken

Von Bernd Berke

Kassel. Der Andrang zur documenta in Kassel ist riesengroß. Bereits am letzten Wochenende, als die Weltkunstschau gerade erst eröffnet war, strömten 18.000 Leute auf das Ausstellungsgelände, bis gestern waren über 40.000 da. Zeitweise mußten einzelne Gebäude geschlossen werden, sonst hätte man nur noch Besucher und keine Kunst mehr gesehen. Bis zum Schlußtag (20. September) dürfte man also den 1987 aufgestellten Rekord von 480.000 erreichen. Auf der großen Wiese vor dem Fridericianum herrscht an sonnigen Tagen echte Volksfest-Atmosphäre. Das liegt nicht nur an den zahlreichen Imbiß- und Getränkeständen (einigermaßen zivile Preise), sondern vor allem daran, daß hier auch ein Forum für allerlei Weltverbesserer und Sonderlinge entstanden ist. In diese quirlig-bunte Szene mischt sich dann und wann auch eine… Weiterlesen
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Überall ist Künstlerland – ein Gang durch die Kasseler documenta

Von Bernd Berke

Kassel. In Kassel ist es jetzt so gut wie unmöglich, der Kunst zu entgehen. Die „documenta“ belegt ein ganzes Stadtviertel. Drinnen und draußen stößt man überall auf Kunst – selbst da, wo man es überhaupt nicht erwartet. So sind sogar unscheinbare Eckplätze wie Toilettenzugänge und Aufzüge Ausstellungsflächen geworden, und aus einem Grashügel blickt ein abgefilmtes Auge auf den Betrachter.

Im berühmten Fridericianum, dem würdevollen Zentralbau der documenta, entscheidet sich in der Regel bereits, ob die ganze Sache gelungen ist. Und tatsächlich kann man hier wechselvolle Kunst-Erfahrungen machen wie sonst in vielen Monaten nicht. Es ist ein Überblick im besten Sinne, nur hier und da – an den Rändern – in Beliebigkeit ausfransend.

Einen gewissen Schwerpunkt bilden Arbeiten, … Weiterlesen

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Ein Mann stürmt himmelwärts – Jan Hoet und die 9. documenta in Kassel

Von Bernd Berke

Jede „documenta“ hat ihr Wahrzeichn. Waren es bei früheren Ausgaben der Weltkunstschau zum Beispiel Walter de Marias im Boden versenkter „Erdkilometer“, Joseph Beuys‘ gigantische Öko-Aktion „7000 Eichen“ oder anno 1987 Ian Hamilton Finlays Guillotinen, so ist diesmal Jonathan Borofskys auf einer Glasfiberstange in den Himmel stürmender Mann das beherrschende Symbol: „Man walking to the sky“ – das könnte auch auf Jan Hoet, den Chef der morgen startenden 9. documenta zutreffen.

Auch bei der gestrigen Eröffnungspressekonferenz waren die Aussagen des Belgiers wolkig. In einer deutsch-englischen sprachlichen Achterbahnfahrt sondergleichen teilte er den fast 2000 staunenden Journalisten aus aller Welt mit, die Beiträge der etwa 190 documenta-Teilnehmer seien „Vorschläge der Künstler an die Gesellschaft“. Kunst gegen den „Körper-Verlust“ sei angesagt. … Weiterlesen

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Zukunftsgewißheit mit rechtwinkligen Mustern – Kunstsammlung NRW zeigt Konstruktivisten

Von Bernd Berke

Düsseldorf. Welch‘ eine Nüchternheit, grandios und erschreckend zugleich: An Erich Buchholz‘ Entwurf eines völlig rechtwinklig durchmusterten Zimmers „stören“ eigentlich nur noch die Rundungen des Konzertflügels.

Und wenn man in der Kunstsammlung NRW die mathematisch inspirierten Stadtplaner-Ideen mancher Konstruktivisten betrachtet, kann man sich nur die Augen reiben: Welche maschinellen Wesen sollten dort eigentlich wohnen? Doch dann gibt auch wieder die kühle Schönheit der Geometrie, etwa in den „Proun“-Bildern von El Lissitzky, in Arbeiten von Kurt Schwitters, Walter Dexel oder Theo van Doesburg.

Die Konstruktivisten betrieben „Grundlagenforschung“ in der Kunst. Wie die Chemiker die Welt auf Elemente zurückführten, so die Konstruktivisten die Bildwelt auf elementare Formen. Wie in der Naturwissenschaft, so lagen auch im Konstruktivismus Fluch und Segen dicht … Weiterlesen

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