Monatsarchive: Februar 2002

Leichtsinn im deutschen Herbst – Susanna Enk inszeniert Friedrich Schillers Drama „Die Räuber“ in Mülheim

Von Bernd Berke

Auch so kann man in Schillers „Räuber“ einsteigen; sanft, alltäglich und entspannt: Ein Hauptdarsteller bekommt auf der Bühne noch seine Nacken- und Schultermassage, er räkelt sich, lässt ein wohliges „Aahhhh!“ hören. Dann gleitet er in seine Rolle hinein, als sei’s ein Stück aus dem Improvisations-Theater. Das Spielchen kann beginnen.

Susanna Enk inszeniert den Klassiker des Aufbegehrens im Mülheinier Theater an der Ruhr ‚mit Bezügen zum „Deutschen Herbst“ der 70er Jahre, und zwar auch platt wortwörtlich: Verwelktes Laub breitet sich auf der Bühne aus, später hat man es im Kehraus zusammengefegt und säuberlich gehäuft.

Ringsum stehen Campingstühle und ein großer Kühlschrank, immer gut gefüllt mit Dosenbier. Über die ganze Breite spannt sich eine Hängebrückc für theatralische Turnübungen.

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Blicke in den Abgrund – „The Gap Show“ mit zeitkritischer Kunst aus Großbritannien in Dortmund

Von Bernd Berke

„Mind the Gap“ lautet der allgegenwärtige Stolper-Warnhinweis in der Londoner U-Bahn. Das bedeutet etwa: „Achtung, Spalte!“ Oder auch: Kluft, Riss. Wie kommt es nur. dass man da – sofern politisch bei Sinnen – schnell an gesellschaftliche Verwerfungen denken kann, an die Risse im Gefüge, an die Kluft zwischen Klassen?

Im Thatcherismus haben sich die Gräben so tief aufgetan, dass es bis heute schmerzlich spürbar ist. Wohl deshalb haben britische Filmemacher und Künstler die „harten“ sozialen Themen nie aus dem Blick verloren. Das beweist erneut jene „Gap Show“, die 16 junge Künstler von der Insel mit neuesten Arbeiten etlicher Genres (Tafelbild, Video, Fotos, Installationen) im Dortmunder Ostwall-Museum ausrichten.

Gleich im Lichthof erklingt das berühmte „God Save the Queen“. … Weiterlesen

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Begeistert von der Industrie – Bilder aus dem Nachlass von Gustav Deppe in Witten und Hattingen

Von Bernd Berke

Jeder hat seine eigene, vielleicht eher widerstrebende Haltung zur industriellen „Landschaft“ des Ruhrgebiets: Der Künstler Gustav Deppe (1913-1999) konnte sich jedenfalls kaum sattsehen an Strommasten, Zechentürmen, Kraftwerken oder gewaltigen Raffinerien. Eine Doppelausstellung in Witten und Hattingen vergegenwärtigt jetzt seine bejahende Sicht auf diese Welt aus Stahl und Beton.

Fast fühlt man sich an den berühmten Satz Rilkes erinnert, ein Künstler müsse vor allem zu rühmen wissen. Deppe jedenfalls zeigt keine hässlichen Verwerfungen und Verwitterungen, sondrn allemal ein großes Aufragen und Himmelwärtsstreben industrieller Anlagen. In der Wiederaufbauzeit haben diese Giganten gewiss Zukunftshoffnung verkörpert. Und womöglich ist hier auch ein ferner Nachhall des Futurismus zu vernehmen, der ja jede technische Errungenschaft freudig begrüßte.

Verwandlung in pure Energie

Mag sein, … Weiterlesen

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Malen bis zur großen Finsternis – Ahlener Werkschau über Julo Levin, der 1943 in Auschwitz ermordet wurde

Von Bernd Berke

Ahlen. Er wurde 1901 in Stettin geboren, kam 1919 nach Düsseldorf und verstand sich fortan als Rheinländer. Auf die Idee, dass Deutsche ihn eines Tages ausgrenzen oder gar verfolgen könnten, kam der aus einer Familie jüdischen Glaubens stammende Maler Julo Levin bis zum Jahre 1933 nicht.

Im Umkreis der Künstlervereinigimgen „Junges Rheinland“ und „Rheinische Sezession“ hatte er sich einen Namen gemacht, hatte mit Kollegen wie Johan Thorn Prikker und Heinrich Campendonk regen Austausch gepflegt.

Doch schon bald nach der NS-Machtergreifung wurde er mit einem Mal- und Ausstellungsverbot verfemt. Eines seiner letzten Bilder heißt „Hiob“ (1933/34) und zeigt die geschundene Biblische Gestalt; zu Boden geworfen, schutzlos ausgeliefert.

Mehrfach wurde Levin, der gewisse Sympathien für den Kommunismus hegte, verhaftet … Weiterlesen

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Auch das Denken ist eine Baustelle – Literat und Filmemacher Alexander Kluge wird 70

Von Bernd Berke

Einen „elektronischen Wegelagerer“ hat ihn der frühere RTL-Boss Helmut Thoma einst genannt. Vielleicht schmückt sich Alexander Kluge mit einem solchen Titel recht gern. Der so vielfach begabte Schriftsteller, Film- und Fernsehmacher, der heute 70 Jahre alt wird, hat mit unbändiger Neugier und freundlicher List schon so manches Medium produktiv „unterwandert“.

Als das Privatfernsehen in Deutschland aufkam, war Kluge der wohl erste namhafte Intellektuelle, der zwar auch die Risiken, vor allem aber die Chancen dieser Entwicklung erkannte. Auf der Basis von NRW-Lizenzen gelang es ihm und seiner Produktionsfirma dctp, mit experimentellen Magazinen Nischen bei RTL, SAT. 1 und Vox zu besetzen. Die Senderchefs stöhnten über den partisanenhaften „Quotenkiller“, der so gar nicht zum Trallala-Umfeld passen mochte. Doch Kluge, … Weiterlesen

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Gedrängtes, bedrängtes Dasein – Folkwang-Museum in Essen zeigt Arbeiten auf Papier von Max Beckmann

Von Bernd Berke

Dem Lebendigen ist alles lebendig, sogar Anzeichen der Langeweile kommen ihm aufregend vor. Selbst wenn Max Beckmann (1884-1950) eine Gruppe von Gähnenden zeichnete, geriet ihm dies zur halbwegs dramatischen Szenerie. Jede Figur gähnt anders, eine offenbar lauter als die Andere, als sei’s ein Wettstreit. Und alle zusammen wirken sie wie ein kakophones Gähn-Orchester. Oder gar wie Bestien, die einander mit weit offenen Mündern fressen könnten.

„Spektakel des Lebens“ heißt die neue Ausstellung im Graphischen Kabinett des Essener Folkwang-Museums. Sie versammelt 64 Beckmann-Arbeiten auf Papier; Zeichnungen und Aquarelle also. Diese eher intimen Genres dienten Beckmann als Proben auf die eigene Wirksamkeit. Die Blätter waren nicht zur Publikation gedacht, er behielt sie für sich. Erst viel später gerieten sie … Weiterlesen

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Peter Handkes „Bildverlust“: Das Lesen als Gebirgsbesteigung

Von Bernd Berke

Kein Wort mehr über Peter Handkes Liaison mit der Schauspielerin Katja Flint. Auch kein Satz mehr über Handkes starrköpfige Haltung zu Serbien, die selbst eingeschworene Verehrer seiner Schreibkunst verwirrt hat. Hier geht’s um seinen neuen Roman „Der Bildverlust“. Ach, nun sind es unversehens doch ein paar Worte geworden.

Ein ähnlicher Ausruf mag Handke selbst entfahren sein, als er den Schlusspunkt setzte. Es sind ja doch wieder ein paar Seiten geworden. 759 an der Zahl. Die Lektüre fordert vom Leser alles, sie ist einer langwierigen Gebirgsbesteigung vergleichbar – mit Ausblicken in weite Horizonte, doch auch mit jäh drohenden Abstürzen.

Kostbare Sprach-Funde bergen

Es gibt Strecken in diesem Roman, auf denen man kapitulieren möchte. Dann zieht man doch weiter … Weiterlesen

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