Hundert Meter: Bolt usw.

Ich gehöre zu einer Generation, die weiß, wie betulich Leichtathletik-Sportfeste oder Länderkämpfe (gibt’s die überhaupt noch?) früher mal verlaufen sind. Stadionsprecher, so etwa auch in der Dortmunder „Roten Erde“, verkündeten beispielsweise gravitätisch „Programm Seite 29 – 100 Meter-Lauf der Herren…“ Und dann ging alles seinen vergleichsweise gemächlichen Gang.

Naja, immerhin lief Armin Hary damals auch schon 10,0 Sekunden über die Strecke. Jetzt sind die Deutschen gar nicht mehr gut zu Fuß. Sie fahren lieber Formel 1.

Abfotografiertes ZDF-Fernsehbild

Abfotografiertes ZDF-Fernsehbild

Heute schaue ich mir nur noch sehr selten solche Wettkämpfe im Fernsehen an. Das Ganze ist mir längst unheimlich geworden. All diese monströsen Muskelberge, das einstudierte Repertoire der zur Schau gestellten Imponiergesten (fast egal, ob nun lächelnd, locker, cool oder finster), der immerzu schwelende Dopingverdacht…

Eine Ausnahme ist Olympia, da gucke ich bei den Sprintkönigen mal wieder ´rein – gemeinsam mit schätzungsweise 1 Milliarde Menschen auf dem Globus. Die Medien hatten das Finale über 100 Meter seit Wochen zum Duell der Giganten hochgejubelt, zum Duell der Gegensätze stilisiert: Usain Bolt vs. Yohan Blake. Die Kommentatoren des ZDF, das heute an der Reihe ist, nutzen weidlich die Gelegenheit, um Satzfetzen wie „Das haben sie irgendwie im Blut, die Jamaikaner“ vorzubringen. Irgendwie.

Dennoch: Ich kann mich der Faszination nicht gänzlich entziehen. Man ist schließlich Zeitgenosse, wie widerspenstig und unwillig auch immer. Man möchte aber lieber nicht wissen, wie manche der 80 000 im Stadion an ihre Karten gekommen sind – bei angeblich 1 Million Anfragen.

…und dann gewinnt halt doch wieder Usain Bolt in 9,63 Sekunden. Vor Blake (9,75 sec.) und Gatlin (USA – 9,79 sec.).

Wir schalten zurück in die angeschlossenen Funkhäuser.

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Über Bernd Berke

Langjähriger Kulturredakteur bei der Anfang 2013 verblichenen Westfälischen Rundschau (Dortmund), die letzten elf Jahre als Ressortleiter. Zwischenzeitlich dies und das, z. B. Prosaband „Seitenblicke" (edition offenes feld, 2021), vereinzelt weitere Buchbeiträge, Arbeit für Zeitschriften, diverse Blogs und andere Online-Auftritte. Seit 2011 hier. Und anderswo. Und überhaupt.
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2 Antworten zu Hundert Meter: Bolt usw.

  1. Bernd Berke sagt:

    Schwieriger Spagat: Von vielen Dingen sollte man sich fernhalten, aber kann man sich völlig abschotten?

  2. ChaLi sagt:

    Bedauerlicherweise bekomme ich „das einstudierte Repertoire der zur Schau gestellten Imponiergesten“ mangels Fernseher & Radio nur online mit.
    Ich wünschte, ich könnte „mich der Faszination […]entziehen. Man ist schließlich Zeitgenosse, wie widerspenstig und unwillig auch immer.“
    Kann ich leider doch. Aber ich ahne, was ich verpasse.
    Viel Vergnügen weiterhin – und halt uns IgnorantInnen auf dem Laufenden.
    Danke.

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