Verbrieft – Bekenntnisse eines Briefschreibers

Die Sondermarke prangt glänzend auf dem Umschlag.
Man denkt kurz an Ringelnatz und verabschiedet sich.
Ein Kulturwelt-Erbe befindet sich auf dem Rückzug.

Letzte Gefechte?

Noch ein Brief, nochmal an den Schreibtisch,
der diesen Namen auch verdient. Freies Sichtfeld.
Ein weißes Blatt Papier, jungfräulich schön.
Das Schreibgerät liegt gut in der Hand. Das sollte so sein.
Man hat ein paar Stunden zu tun. Das ist nicht immer so,
aber es ist eine Option, mit der man rechnen muss.

Man kann von einer langen Tradition sprechen.
Unzählige Kulturschaffende standen in Briefkontakt und pflegten ihn.
Schriftsteller schrieben Briefe, die den Vergleich mit Büchern nicht scheuen mussten.
Es ist hier nicht die Rede von Geschäftsbriefen, sondern von persönlichen Kunstwerken,

intimen Mitteilungen und „archäologischen“ Unternehmungen.

Die Reise zum Mittelpunkt des Ichs.

Es gibt Etappen-Briefe, es geht hinauf, es geht hinunter.
Einige Briefwechsel dauerten Jahre.
In solch kurzlebigen Zeiten wie heute, undenkbar.
Das ist Nostalgie, meinen manche, das sei längst überholt.
Was das Tempo anbetrifft, keine Frage.
In Sachen Qualität, siegt der Brief in mehrfacher Hinsicht,
ist dem Medium Internet überlegen.
Der Brief ist ein Akt der Wertschöpfung, auch wenn der Kurs dieser Währung im Keller liegt.

Dort liegt bekannterweise auch der gute Wein.
Man sieht ihn kaum, er darf ruhig reifen.

Und kommt er dann ans Tageslicht,
ist man betört von seinen Düften und Aromen.
Man geht behutsam mit ihm um.
Er verträgt kein Geschwätz.
Nein, es umgibt ihn eine mitunter feierliche Aura,
frei von Kreditkarten-, Auto- und War-Game-Werbung.

Der eigene Charakter steht im Mittelpunkt,
nichts von der Stange, keine Kopie.
Der Brief steht für sich, steht für das Wort,
steht für Qualität.
Geschmückt durch eine Marke, darf er in Ruhe verreisen.

Aber wer nimmt sich heute noch die Zeit, einen Brief zu schreiben?

Das ist nicht cool. Das ist out.
Wie lange, das wird man sehen…

Stefan Dernbach ( LiteraTour )

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Über Stefan Dernbach

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8 Antworten zu Verbrieft – Bekenntnisse eines Briefschreibers

  1. Stefan Dernbach sagt:

    @ Anja Distelrath sagt:
    12. Mai 2011 um 16:22

    Ich besitze eine solche – ich nenne sie –
    Schatzkiste.
    Unlängst mussten meine Briefe und Postkarten,
    die ich über Jahre erhalten habe,
    in eine größere Kiste umziehen.
    Nun liegen sie wieder gut gebettet.

  2. Stefan Dernbach sagt:

    @ Bernd Berke

    Natürlich muss es – eklatant – heißen.
    Ach, früher Morgen.
    Ich tippe mal wieder zu schnell.
    Beim Briefeschreiben geht eben doch alles
    gemächlicher zu.

  3. Stefan Dernbach sagt:

    @ Bernd Berke sagt:
    12. Mai 2011 um 14:50

    Bei der ganzen Chose darf man nicht den Empfänger vergessen.
    Ohne geeigneten Empfänger,
    gibt es heute kaum noch einen Grund,
    einen Brief zu schreiben, es sei denn,
    man wäre Papierfetischist, Briefmarkenanbeter …etc.

    Es muss nicht gleich um Brieffreundschaft gehen,
    aber der Mensch, dem ich schreibe,
    muss mir was wert sein.
    Dann setzte ich mich hin und schreibe einen Brief.

    Das steht im eklantanten Gegensatz zum inflationären
    Datenübermittlungsrausch !

  4. Stefan Dernbach sagt:

    @ Günter Landsberger sagt:
    12. Mai 2011 um 18:16

    1963 scheint ein guter Jahrgang gewesen zu sein. 🙂
    Spass beiseite, ein literarisch anmutender Ton,
    also kein Geschreibsel mal eben so, aber auch nicht abgehoben,
    sondern nah‘ beim Empfänger.

  5. Am Anfang meines „Inneren Tagebuchs“, begonnen im Alter von 20 Jahren, stehen (gleichsam als Initialzündung) zwei Briefzitate vom 5. März 1963. Geschrieben hatte mir mein genau zwei Jahre älterer Freund und ehemaliger Schulkamerad als Antwort auf meinen Geburtstagsbrief an ihn. Er schrieb mir aus Hamburg, wo er Jura studierte. Aus seinem Brief an mich nach Essen wählte ich damals für mein „Tagebuch“ die folgenden Stellen aus:
    „Der Lauf des Lebens bringt es mit sich, daß wir oftmals aus dem uns vertrauten Kreise gelöst werden und, in eine neue Umgebung verpflanzt, uns akklimatisieren, wobei das Neue im Laufe der Zeit uns immer mehr ausfüllt, von unserer Person Besitz ergreift, im gleichen Maße, wie das Alte, ehedem Vertraute, schwindet und zur Erinnerung, und allmählich zum Schatten, der uns schon gar nicht mehr bewußt ist, wird.“
    (…)
    „Bisher las ich noch nie einen Brief zweimal, da es sich meist um Nichtssagendes, um nicht zu sagen, Oberflächliches, handelte, um schöne Worte, Dein Brief ist eine ungewöhnliche Ausnahme, denn man erkennt bei mehrmaligem Lesen den Menschen, der ihn verfaßte, in seinem Innersten. So bist Du dadurch wieder markant vor mir erschienen und ich bin erstaunt darüber, daß das durch einen Brief überhaupt möglich ist.“

  6. 35 Jahre lang, bis in mein 55. Jahr, war ich selbst und sehr gerne ein „Mann der langen Briefe“. (Aus Polen und aus Merseburg erhalte ich gelegentlich noch heute schön geschriebene, mitteilsame, längere.)
    Von Kindheit an war ich daran gewöhnt, Briefe zu schreiben und Briefe zu erhalten. Zwischen Essen und Salzburg (vice versa) gab es einen regen Briefverkehr. Erst schrieben meine Mutter und ich meinem Vater aus Salzburg nach Essen und umgekehrt, später von Essen aus meinen Großeltern nach Salzburg und abermals umgekehrt. Telephoniert haben wir so gut wie nie. In Essen hatten wir kein Telephon. Meine Salzburger Oma schrieb in einer schönen Kurrentschrift. Aus diesem lesenden Geübtsein heraus kann ich heute noch solche Schriften lesen.

  7. Anja Distelrath sagt:

    Der einzige Briefwechsel, Ämter mal außen vor, fand in den letzten Jahren nur zwischen mir und meiner kleinen Schwester statt. Nun ist sie 12 und als Hauptkommunikationsmittel nutzt sie: Das Internet. Ich erhalte zwar ab und zu auch darüber niedliche E-Post-Karten, doch es ist schon etwas anderes, ob die Postkarte in eine kleine Kiste wandert, in der sie auf viele Jahre als Erinnerungsstück erhalten bleibt, oder eben in der Email-Flut des Postfaches verschwindet.
    Mit Fotos ist es übrigens ähnlich. Schade eigentlich…

  8. Bernd Berke sagt:

    Darauf kann man wohl Brief und Siegel geben.

    Der gute alte Brief auf Papier verdient jede Verteidigung. Und dennoch muss ich zugeben, dass ich meinen Bedarf nahezu gänzlich auf elektronische Post umgestellt habe. Wie löst man nun solche eklatanten Widersprüche auf?

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