Die Lust am Weibe und die Angst dabei – „Picassos letzte Bilder“ in der Kunsthalle Bielefeld

Von Bernd Berke

Bielefeld. Der Mann war 1966 immerhin schon 85 Jahre alt und hatte eine schwere Operation hinter sich. Doch kaum war er halbwegs genesen, ergriff auch schon wieder seine alte Passion von ihm Besitz: die Lust am Weibe, vermischt mit allerlei Angst. Und natürlich die unbändige, unerschöpfliche Lust an der Kunst. Der Mann hieß Pablo Picasso.

„Picassos letzte Bilder“ aus den Jahren 1966 bis 1972 präsentiert jetzt die Bielefelder Kunsthalle. Das Institut kann an eine spezielle Tradition anknüpfen. In den letzten Jahren zeigte man die Ausstellungen „Picassos Todesthemen“, „Picassos Klassizismus“ und „Picassos Surrealismus“. Doch von Übersättigung kann keine Rede sein. In diesem Werk lassen sich eben immer wieder neue Aspekte freilegen.

Nun also das bildnerische Finale eines reichen Lebens. Und es ist groß und vital wie je zuvor. Treibende Themen: ewige Lockung und tiefe Kluft zwischen den Geschlechtern. Selbst „Der Kuß“ (1969) bewirkt eine .schreckliche Verformung der Gesichter, er ist ein gewaltsamer Akt. Und sogar die „Blumenvase auf einem Tisch“ (1969) ist nicht so harmlos. Auch dieses Bild handelt von geschlechtlicher Wirrnis, wenn auch im botanischen Gewande.

Andere Arbeiten sind dafür deutlich, bewegen sich im Grenzgelände der Pornographie. Keineswegs nur zu zweit gesellt man sich da. Picassos letzte Gefährtin soll schamhaft einige Blätter vernichtet haben. Wie eine Wunde klafft vielfach das Geschlecht der Frau, zum bedrohlichen Verschlingen bereit. Oft ärmlich hingegen das männliche Pendant. Um eine Formulierung von Hans Magnus Enzensberger zu verwenden: „Eine Hutzel zwischen den Beinen.“

Keine „Waffengleichheit“ der Geschlechter

Hier herrscht offenbar rundweg keine „Waffengleichheit“ zwischen den Geschlechtern. Ob als erotische Gespielin oder als Mutter – die Frau scheint stets übermächtig. Welch eine Verrenkung des Mannes beim „Ständchen“ (1967) für das begehrte Mädchen. Scheint ganz so, als mache er sich zum Narren, um ihre Gunst zu erringen. Und manchmal gerät dann der vermeintliche Herr der Schöpfung in Harnisch: Der „Mann mit Helm und Schwert“ hat sich gewappnet – gegen die Versuchung?

Die Körperlichkeit gibt sich angriffslustig. Die Leiber sind nach vorn, zum Betrachter hin gekippt und gleichsam aufgeklappt wie offene Bücher. Wovor also fürchten sich jene Porträt-Gesichter mit den weit aufgerissenen Augen? Haben sie Angst vor dem offenen Schlund, in dem sich auch der Tod verbergen könnte?

Vielfältig die Farbpalette: erstaunlich das aggressive Fleisch- und Flammen-Rot. Anderes wird ins Schwärzeste getaucht. Wechselbäder. Heftige Stimmungsumschwünge. Auch im Alter hat Picasso davor keine Ruhe. Nicht auszumalen, wenn er die Kunst nicht hätte! Doch so wird aus der sexuellen Bedrängnis ein Kraftquell, der lebendig hält.

Die Bielefelder Auswahl umfaßt rund 40 Gemälde, 20 Zeichnungen und einige Lithographien. Nicht mit Masse, sondern mit erlesener Qualität wolle man prunken, so Kunsthallen-Direktor Ulrich Weisner. Das etwa 1,7 Mio. DM teure Unternehmen sei eine finanzielle „Zitterpartie“. Fast entschuldigend fügt Weisner an, selbst in Zeiten wie diesen müsse man wohl solche kostspieligen Ausstellungen wagen. Wohin sind wir geraten, daß man für Picasso um Verzeihung bitten muß, als handele es sich um ungebührlichen Luxus?

„Picassos letzte Bilder“. Kunsthalle Bielefeld. Artur-Ladebeck.-Str. 5 – 0521/51 24 79). Bis 30. Januar 1994. Tägl. außer Mo 11-18, Do 11.21 Uhr, Sa 10-18 Uhr. Katalog 59 DM. Eintritt 10 DM, ermäßigt 5 DM, freitags freier Eintritt.

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Über Bernd Berke

Langjähriger Kulturredakteur bei der Anfang 2013 verblichenen Westfälischen Rundschau (Dortmund), die letzten elf Jahre als Ressortleiter. Zwischenzeitlich dies und das, z. B. Prosaband „Seitenblicke" (edition offenes feld, 2021), vereinzelt weitere Buchbeiträge, Arbeit für Zeitschriften, diverse Blogs und andere Online-Auftritte. Seit 2011 hier. Und anderswo. Und überhaupt.
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