Monatsarchive: Dezember 1993

Für „Jason Dark“ ist morgens Geisterstunde – Besuch bei Deutschlands meistgelesenem Autor: Helmut Rellergerd

Von Bernd Berke

Raten Sie mal: Wer ist der meistgelesene deutsche Autor? Siegfried Lenz? Kalt. Johannes Mario Simmel? Schon näher dran. Heinz G. Konsalik? Naja. lauwarm. Also gut: Es ist Helmut Rellergerd. Nie gehört. stimmt’s?

Kein Wunder. Der Mann schreibt unter dem Pseudonym Jason Dark. Seit nunmehr 20 Jahren bringt er allwöchentlich seinen „Geister jäger John Sinclair“ in Heftromanen und Taschenbüchern unters Volk. Staunenswerte Statistik: Heftnummer 800 der Gruselreihe wurde kürzlich überschritten. Die Wochenauflage beträgt derzeit rund 800000, die Gesamtauflage 165 Millionen. Und Rellergerds Jahresbilanz ’93 sieht so aus: 57 Heftchen à 64 Seiten hat er verfaßt, dazu zehn Taschenbücher. Damit hat er ein halbes Jahr Vorsprung vor der aktuellen Titelproduktion. Er könnte unbesorgt in Urlaub gehen. Doch „Sinclair“ läßt … Weiterlesen

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Ein Bär mit Verstand: „Pooh’s Corner“, Harry Rowohlts gesammelte Kolumnen

Von Bernd Berke

Es gibt sie – jene höhere Weisheit. die sich hinter trudelndem Unsinn verbirgt. Zu ihren Großmeistern zählt Harry Rowohlt. Das ist einer, der spürbar immer viel, viel mehr weiß, als er hinschreibt. Und eben das verleiht seinen Sätzen einen ganz besonderen Drall.

In seiner Kolumne „Pooh’s Corner – Meinungen eines Bären von geringem Verstand“, hat Rowohlt einen scheinbar nonchalanten, ja gelegentlich regelrecht „besoffenen“ Stil in der Wochenzeitung „Die Zeit“ zur Reife gebracht. Diese sprachlichen Aus- und Abschweifungen liegen jetzt, ergänzt um einige Essays und Filmkritiken, gesammelt vor. Das wurde aber auch mächtig Zeit!

Harry Rowohlt, namentlich erkennbar ein Sproß der berühmten Verleger-Familie, ist ein Querschädel und Originalkopf, der seine kleinen und großen Besessenheiten pflegt: vor allem die … Weiterlesen

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Der kinderleichte Traum von einer besseren Welt – Jean Giraudoux‘ „Die Irre von Chaillot“ in Wuppertal

Von Bernd Berke

Wuppertal. Ein paar Kapitalisten wollen halb Paris abreißen, um vermeintliche Ölquellen auszubeuten. Doch die Erd- und Menschenschinder werden in eine tödliche Falle gelockt – und schon ist die Welt ein für allemal befreit. So simpel geht das in Jean Giraudoux‘ Stück „Die Irre von Chaillot“, das in Wuppertal Premiere hatte.

Selten wird der Zweiakter gespielt. Er ist schwer in den Griff zu bekommen. Ziemlich diffus wirkt das Figureninventar zwischen windigen Geldsäcken und Gestalten aus jener niederen Gegenwelt der Clochards und der „irren“ Frauen. Die sind hier natürlich im höheren Sinn die einzig Vernünftigen, weil am mißlichen Zustand der Welt irre geworden. Das Stück hegt eine verstiegene Hoffnung auf rebellische Randgruppen.

In Wuppertal (Regie: Kresimir Dolencic) verklammert man … Weiterlesen

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Auf der Suche nach dem Gleichgewicht – Cees Nootebooms „Der Buddha hinter dem Bretterzaun“

Von Bernd Berke

Cees Nooteboom muß man, spätestens seit der letzten Buchmesse, als er mitsamt der niederiändisch-flämischen Literatur im Mittelpunkt stand, kaum noch vorstellen. Er gilt als Kandidat für den Literaturnobelpreis, sein Buch „Rituale“ steht seit Monaten auf der Bestsellerliste. Jetzt liegt eine neue Erzählung von ihm vor.

In „Der Buddha hinter dem Bretterzaun“ beweist er seine Meisterschaft an einem Thema, das man nicht mehr für prosatauglich gehalten hätte. Denn über Thailands Hauptstadt Bangkok, so meinte man, ist doch in mehr oder minder seriösen Reportagen schon alles gesagt worden.

Nooteboom läßt einen Reisenden durch die Metropole streifen und gleich der im Titel erwähnten Figur begegnen. Hinter jenem Bretterzaun belebt sich „ein dicker Woolworth-Buddha, zwanzigstes Jahrhundert…“ Der öffnet dem Reisenden die … Weiterlesen

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Weltgeist in der Erbsensuppe – Ernst Jüngers privatisierende Tagebücher „Siebzig verweht III“

Von Bernd Berke

Ernst Jünger ist der wohl umstrittenste deutsche Autor des Jahrhunderts. Sein Frühwerk („In Stahlgewittern“) half heftig mit bei der geistigen Aushöhlung der Weimarer Republik. Zwar hat er sich dann nicht direkt mit den Nationalsozialisten eingelassen, sich aber stets in deutschnationalen Kreisen bewegt. Jetzt liegt der dritte Band seiner Tagebücher „Siebzig verweht“ vor. Erbauungs-Lektüre für «Rechtsausleger“?

Jünger geriet in der NS-Diktatur (wegen „Auf den Marmorklippen“, 1939) gar in Gefahr. doch hat er allzeit mächtige Beschützer gehabt. Niemand anderer als Hitler hat Jünger vor Verfolgung durch den Blutrichter Roland Freisler bewahrt. Diesen durch Dokumente gestützten Sachverhalt teilt Jünger in seinem Tagebuch spürbar bewegt mit.

Der Garten und die Insekten

Trotz aller Bedenken dürfte Jünger, der bald 99 wird und … Weiterlesen

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Singselig und sturzvital – die „Kinks“ in Dortmund

Von Bernd Berke

Dortmund. Da kommt er, solo mit Gitarre: Ray Davies (49). Er stimmt gleich den Song „A Well Respected Man“ an. Ist ja auch wahr: Seit 30 Jahren ist er mit seinen „Kinks“ auf der Szene. Das ist mehr als respektabel.

Davies beginnt in der nicht ganz ausverkauften Westfalenhalle II mit einem Medley bejahrter Erfolgstitel, das Sommerstück „Sunny Afternoon“ natürlich inklusive. Ray Davies reißt diese Hits nur kurz an. Vielleicht hat er sie sich leid gespielt. Aber sie gehören halt nicht nur dazu, sondern sind auch nachher Kern des Programms – und der Mann freut sich ersichtlich, sein Publikum mit solchen Erinnerungen in den Griff zu bekommen.

Seit 30 Jahren im Rock-Geschäft

Um 30 Jahre unverdrossen in Sachen … Weiterlesen

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Die Vermessung des Menschen – Oskar Schlemmers „Folkwang-Zyklus“ und Artverwandtes in Essen

Von Bernd Berke

Essen. Also sprach der Künstler anno 1930 im Hörfunk: „Wenn erst einmal der Fernseher da sein wird, eröffnen sich auch uns Perspektiven, die gar nicht abzusehen sind… Dann können auch wir uns an die Masse des Volkes wenden.“

Der grandiose Optimist war Oskar Schlemmer (1888-1943). Anlaß seines denkwürdigen Funkauftritts war just jener Werkzyklus, der jetzt im Essener Museum Folkwang gezeigt wird.

Schlemmers „Folkwang-Zyklus“ war Ergebnis eines Ende 1927 gestarteten Wettbewerbs zur Ausgestaltung des Museums mit Wandbildern. Für den damaligen Folkwang-Direktor Ernst Gosebruch stand freilich der Sieger von Anfang an fest: Oskar Schlemmer. Dabei waren die Mitbewerber, Erich Heckel und Willi Baumeister, kaum weniger hochkarätig. In Essen kann man einige ihrer Entwürfe mit denen Schlemmers vergleichen.

„Die jungmännliche … Weiterlesen

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Mit Haußmann soll es fröhlich werden – Ab 1995 dürfte sich am Bochumer Theater einiges ändern

Von Bernd Berke

Bochum. ,lch bin ein fröhlicher Mensch“, sagt Leander Haußmann von sich. Und das werde sich im Spielplan auswirken, wenn er 1995 die Leitung des Bochumer Schauspielhauses übernehme. Doch auch bei ihm. so der 34-jährige, werde nicht ganzjährig Theater-Karneval herrschen. Er werde als Kontrast zu sich selbst auch Regisseure engagieren, die eher spröde inszenieren.

Haußmann hat gerade zähe Verhandlungen mit Bochums Kulturdezernentin Dr. Ute Ganaris hinter sich: „Es war richtig anstrengend.“ Doch erfahrene Kollegen wie etwa der frühere Bochumer Schauspielchef Claus Peymann oder Jürgen Flimm hätten ihm dringend raten, sofort alles durchzufechten: „Was du jetzt nicht erreichst, kriegst du später nie mehr.“

Vertrag noch nicht ganz sicher

Haußmann läßt durchblicken, daß er vor allem gewisse Nachbesserungen am maroden … Weiterlesen

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Chaot der Rockmusik – Zum Tod von Frank Zappa

Von Bernd Berke

Das Poster, das den verzottelten Kerl auf der Toilette zeigte, hing fast überall, wo man rebellisch gestimmt war. Es war eine Ikone der 60er Jahre. Und der Titel seines ersten Albums „Freak out“ (etwa: Brich aus!) wurde zum Schlachtruf der Aufsässigen. Der Rockmusiker Frank Zappa, Symbolfigur einer ganzen Generation und Inbegriff des Underground, ist tot. Mit nur 52 Jahren starb er an Prostatakrebs.

Erst gestern früh wurde die traurige Nachricht bekannt, und die Agenturen verbreiteten sie mit dem Dringlichkeits-Vermerk „Vorrang“. Zappa starb bereits am Samstag in Los Angeles, am Sonntag wurde er schon im engsten Kreise von Freunden und Angehörigen beigesetzt. Seine Familie, Frau und vier Kinder, teilte lapidar mit, er sei nun „zu seiner letzten Reise … Weiterlesen

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Wenn alle Witze heillos vergiftet sind – „Comedians“ von Trevor Griffiths im Dortmunder Schauspiel

Von Bernd Berke

Dortmund. Was ist eigentlich Komik? Typisch deutsche Grübelfrage, nicht wahr? Doch in diesem Fall stellt sie der Engländer Trevor Griffiths. Sein 1975 verfaßtes Stück „Comedians“ („Komiker)“ hatte jetzt in Dortmund Premiere.

Das Studio im Schauspielhaus ist eine karge Schulklasse. Ab und zu poltert der Hausmeister (Günther Hüttmann) herein, um herumzumaulen oder den Kaktus zu gießen. Gibt es Tristeres auf Erden? Doch hier bekommen sechs Männer Abendunterricht in Sachen Witz. Alle schlagen sich sonst mit Gelegenheitsjobs durch. Eine Komiker-Karriere, und sei es in Kneipen, wäre die Chance. Folglich herrscht bissige Konkurrenz. Die Luft knistert von Brutalität, die nur notdürftig in Scherze verpackt wird. Der Stoff, aus dem die Witze sind, ist vergiftet.

Dann betritt der Lehrer Eddie Waters … Weiterlesen

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Kühne Kunst-Pläne in einer alten Villa – Ahlen verdankt sein neues Museum einem Industriellen

Von Bernd Berke

Ahlen. Diese Geschichte könnte beinahe im kulturellen Schlaraffenland spielen: Da überläßt ein Industrieller dem Kunstverein „seiner“ Stadt eine dreistöckige, geräumige Gründerzeitvilla und sorgt auch noch für den kostspieligen Umbau zum Museum. Im westfälischen Ahlen ist die Geschichte, die in rigiden Spar-Zeiten märchenhaft klingt, wahr geworden.

„Kunstmuseum Ahlen“ nennt man das schmucke Haus an der Weststraße jetzt stolz. Der Unternehmer Theodor F. Leifeld hat den 1882 errichteten Bau dem Kunstverein Ahlen zur Verfügung gestellt – vorerst bis Ende 1996. Man will halt erst einmal sehen, wie sich die Sache anläßt. Doch vor dem Haus entsteht bereits ein kleiner Skulpturengarten. Und eigentlich denkt man auch schon an weiteren Ausbau.

Der Kunstverein, der mit aktuellen Werken weiterhin die Stadtgalerie „bespielt“, … Weiterlesen

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Aids macht auch Künstler hilflos – Hagen: Bilder und Objekte zum Thema Immunschwäche

Von Bernd Berke

Hagen. In einer Ecke des Museums erhebt sich ein Hügel aus lauter Bonbons. Die Info-Tafel verkündet: Jene leckeren Kleinigkeiten wiegen zusammen so viel wie ein abgemagerter Aids-Kranker. Symbolisch dürfen die Besucher den Mann gleichsam weiter schrumpfen lassen, indem sie je ein Bonbon wegnehmen. Welch ein Kurzschluß zwischen Tod und Genuß!

Ist das nun eine eindringliche Mahnung oder schlicht eine Geschmacklosigkeit? Diese Frage kann man sich in der Hagener Ausstellung „Thema: Aids“ ständig stellen.

Hagen ist einzige deutsche Station der Schau, die aus Oslo kommt und praktisch nur Aids-Kunst aus den USA versammelt. Dort ist die Diskussion weiter fortgeschritten und hat ganz offenbar Künstler animiert, sich weniger um ästhetische Werte als um die korrekte Behandlung sozialer Fragen zu … Weiterlesen

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