Monatsarchive: September 1993

In der Bundesliga des Theaters spielt das Ruhrgebiet nicht mit

Von Bernd Berke

Allherbstlich wird sie mit Spannung erwartet: die Jahresumfrage des Magazins „Theater heute“. Welche Sprechbühnen gehören in die „Bundesliga“, wer steigt ab, wer steigt auf? Geht es nach dem Urteil der befragten 40 Kritiker, so war es in der letzten Saison um die Theater des Ruhrgebiets so schlecht bestellt wie lange nicht mehr.

Zwar verteilt man bei „Theater heute“ noch keine symbolischen Masken wie Kochlöffel, doch man ist der Hitlisten-Manie immerhin so weit verfallen, daß man arglos „Die Sieger“ ausruft. Bester Schauspieler: Jürgen Holtz (keineswegs nur als „Motzki“); beste Schauspielerin: Kirsten Dene (an Peymanns Burgtheater); bester Regisseur: Luc Bondy. Frank Castorfs Berliner Volksbühne steht als „Theater des Jahres“ auf Platz eins. In dieser Rubrik (Gesamtleitung einer Bühne) mochte … Weiterlesen

Veröffentlicht unter Region Ruhr, Theater | Verschlagwortet mit , , , , , , , | Kommentare deaktiviert für In der Bundesliga des Theaters spielt das Ruhrgebiet nicht mit

Neues Gustav-Lübcke-Museum mit Luft und Licht für die Kunst – Zur Eröffnung in Hamm: Schau über ägyptischen Totenkult

Von Bernd Berke

Hamm. Mit einer weit ausladenden und doch sanften Schwingung, fast wie ein riesiger Konzertflügel, ragt der Bau in die sonst recht gesichtslose City. Welch ein Gewinn für eine Mittelstadt wie Hamm! Um ihr neues Gustav-Lübcke-Museum nach Entwürfen der dänischen Architekten Bo und Wohlert dürften die Westfalen überall beneidet werden. Der Neid wird wohl vorhalten, denn dies dürfte für lange Zeit der letzte große Museumsneubau in der Region bleiben.

36 Millionen DM hat das Haus gekostet. Um die Pläne, die bis ins Jahr 1981 zurückdatieren, wurde zäh gerungen. Die „Kulturfraktion“ aller Parteien hat den städtischen Finanzexperten sogar noch Luxus abgetrotzt. So durfte man zur Außenverkleidung Marmor statt Sandstein nehmen.

Das Kunst-Domizil ist deutlich lichter und luftiger geworden als … Weiterlesen

Veröffentlicht unter Architektur & Städtebau, Kunst & Museen, Region Ruhr | Verschlagwortet mit , , , , , , , | Kommentare deaktiviert für Neues Gustav-Lübcke-Museum mit Luft und Licht für die Kunst – Zur Eröffnung in Hamm: Schau über ägyptischen Totenkult

Das Theater muß rigoros abspecken: „Letzte Vorstellung“ von Gerhard Stadelmaier – das passende Buch zur Krise

Von Bernd Berke

Das Berliner Schiller-Theater schließt in wenigen Tagen. weitere Häuser stehen gewiß „auf der Kippe“. Was tun? Wann, wenn nicht jetzt: Nachdenken über unsere Theater-Landschaft, und zwar ohne Tabus. Daß derlei gründliche Revision in Zeiten der finanziellen Nöte noch unterhaltsam sein kann, beweist Gerhard Stadelmaier mit seinem Buch „Letzte Vorstellung“.

Stadelmaier ist Theaterkritiker der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ). In ihre Diensten hat er so viele Vorstellungen erlebt, daß sein Urteil nicht so sehr aus Anmaßung, sondern aus Anschauung hervorgeht. Und man ist nicht ganz abgeneigt, ihm zu glauben, wenn er behauptet: Deutsches Theater, das ist furchtbar oft eine un-sinnliche, weil kopf- und apparatelastige Veranstaltung.

Blecheimer auf schräggestellter Bühne

Fast möchte man meinen, Stadelmaier habe im Laufe der Jahre … Weiterlesen

Veröffentlicht unter Gesellschaft, Theater | Verschlagwortet mit , , , , | Kommentare deaktiviert für Das Theater muß rigoros abspecken: „Letzte Vorstellung“ von Gerhard Stadelmaier – das passende Buch zur Krise

Nostalgie und brauner Zucker – Musical-Gastspiel in Recklinghausen

Von Bernd Berke

Recklinghausen. Der Broadway verläuft mitten durchs Ruhrgebiet: Zumindest am vergangenen Wochenende schien es so: „Cabaret“ in Dortmund, „Bubbling Brown Sugar“ in Recklinghausen – und in Bochum dampft unverdrossen der „Starlight Express“. Musicals allerorten in Ruhr Town.

Im Recklinghäuser Festspielhaus erlebte man zwar „nur“ das dreitägige Gastspiel im Zuge einer Europa-Tournee, dafür aber ein extrafeines. Der „Brodelnde braune Zucker“ ward in den Niederlanden angerührt und zur furiosen Mélange aufgekocht. Keine Original-Broadway-Produktion also, aber besetzt mit vielen Darstellern von der New Yorker Amüsiermeile.

„Bubbling Brown Sugar“ unternimmt eine Reise in die große Zeit des schwarzen Viertels Harlem. Die nur notdürftig mit Handlungsfädchen verknüpfte Nummernrevue führt vor allem durch die tosenden Nightclubs der 20er und 30er Jahre. Ausgiebig läßt sie … Weiterlesen

Veröffentlicht unter Operette & Musical | Verschlagwortet mit , , , , , , | Kommentare deaktiviert für Nostalgie und brauner Zucker – Musical-Gastspiel in Recklinghausen

Einen Turm bis in die Wolken bauen – Wladimir Tatlin: Der Künstler und die russische Revolution

Von Bernd Berke

Düsseldorf. Einen Turm bis in die Wolken bauen oder auf einem geflügelten Fahrrad durch die Lüfte segeln – solche übermenschlichen Träume weckte die Sowjet-Revolution bei dem Künstler Wladimir Tatlin (1885-1953). Die Düsseldorfer Kunsthalle zeigt als „Weltpremiere“ (Direktor Jürgen Harten) eine umfangreiche Werkschau des Russen.

Große Überraschung: Tatlin, der doch weithin als Bannerträger der Revolution galt, hat – bis auf eine recht begrenzte Phase – vorwiegend konventionell gearbeitet. In seiner Frühzeit versenkte er sich in Blumen-Stilleben, vertrat dann heftig Positionen der Moderne, wandte sich aber schon nach einigen Jahren wieder Porträts und Landschaften zu. Es war offenbar eine erzwungene Anpassung an die Zeitläufte: Kühne Traum-Konstruktionen waren im erstarrten Sowjet-Reich nicht mehr genehm. Sie hätten die Menschen daran erinnern … Weiterlesen

Veröffentlicht unter Architektur & Städtebau, Kunst & Museen | Verschlagwortet mit , , | Kommentare deaktiviert für Einen Turm bis in die Wolken bauen – Wladimir Tatlin: Der Künstler und die russische Revolution

Der Autor als Fabelwesen oder: Roman aus der Datenbank – Ulrich Holbeins Suada „Warum zeugst du mich nicht?“

Von Bernd Berke

Ist Ulrich Holbein ein Mensch oder eine Datenbank? Zu jedwedem Thema hat dieser Autor eine Flut von passenden Zitaten aus der gesamten Weltliteratur parat. So einen Kerl hat die deutsche Literatur lange nicht mehr gesehen.

Ist dieses Fabelwesen, 1954 in Erfurt geboren, jetzt in Nordhessen lebend, Deutschlands (post)modernster oder nur sein modischster Schriftsteiler, ein Gegenwarts-Kasper ohne weiteren Tiefgang?

Holbein nimmt praktisch sämtliche Einwürfe, die seinen Roman „Warum zeugst du mich nicht?“ betreffen könnten, in diesem selbst vorweg. Er hat seine eigene Kritik mitgeschrieben, aber auch die Lobhudelei auf sich selbst. Ein äußerst schwieriger Patron also. Stets mit dem Hirn schon eine Windung weiter, eine Ebene höher, so scheint es. Wie der Igel, der den Hasen immer schon … Weiterlesen

Veröffentlicht unter Literatur | Verschlagwortet mit , | Kommentare deaktiviert für Der Autor als Fabelwesen oder: Roman aus der Datenbank – Ulrich Holbeins Suada „Warum zeugst du mich nicht?“

Nur den Staatsanwalt will niemand gerne spielen – Therapie-Projekt in Eickelborn: Drogensüchtige stellen ihre Lebensgeschichte auf der Theaterbühne dar

Von Bernd Berke

Lippstadt/Eickelborn. „Rolltreppe abwärts“, „Nullouvert“. Schon solche Stücktitel deuten an, daß Theater sich in die Niederungen begibt; nach ganz unten – dorthin, wo z. B. Drogen-Karrieren enden.

Jetzt hat die Gruppe mit dem Namen „Stoffwechsel“ bereits ihr drittes Stück einstudiert. Es heißt „Popshop“. Besonderheit: Die Schauspieler sind 14 Drogenpatienten der psychiatrischen Landesklinik in Lippstadt-Eickelborn. Sie gehen in diesen Tagen sogar erstmals auf eine kleine Tournee, spielen vor Schülern und Jugendlichen. Damit die nicht eines Tages auch an irgendein schlimmes Zeug geraten.

Der Titel „Popshop“ stammt aus dem Szene-Jargon und bedeutet so viel wie „Endstation“ oder „Nichts mehr zu sagen/machen“. Die jungen Leute haben das Stück (mit Hilfe ihrer Therapeuten Günter Seidenberg und Caroline Happe) selbst verfaßt und auch … Weiterlesen

Veröffentlicht unter Gesellschaft, Krankheit & Gesundheit, Lebenswege, Psychologie, Theater | Verschlagwortet mit , , , , , , | Kommentare deaktiviert für Nur den Staatsanwalt will niemand gerne spielen – Therapie-Projekt in Eickelborn: Drogensüchtige stellen ihre Lebensgeschichte auf der Theaterbühne dar

Ruhrpott-Fantasy: Vampir Müller soll den Mörder finden

Von Bernd Berke

Bochum. Auch Bücher verkaufen sich nicht mehr so leicht. Da müssen neue MarketingIdeen her, hat sich wohl der renommierte Münchner Piper-Verlag gedacht – und zur unterirdischen Roman-Präsentation mit „Vampir-Drinks“ ins Deutsche Bergbaumuseum zu Bochum eingeladen. Im Mittelpunkt des Zaubers: der Marler Autor Ludger Vortmann (24) und sein Werk „Müller – Der Ruhrpottvampir“.

Das geheimnisvolle Vampir-Gesöff, das da bereitstand, erwies sich als Sekt mit Cassis. Gag der Gags: Besucher mit bestimmten Endziffern auf ihren Blutspenderausweisen bekamen zwar nichts abgezapft, durften aber Gratis-Buchpakete nach Hause tragen. Und statt in die Gruft ging’s drei Stockwerke runter – ins Bochumer Anschauungsbergwerk.

Drunten im Stollen erleben rund hundert Leute eine kurze und überraschend normale Lesung aus dem Krimi, dürfen das Buch (12,90 … Weiterlesen

Veröffentlicht unter Krimi & Kriminalität | Verschlagwortet mit , , , | Kommentare deaktiviert für Ruhrpott-Fantasy: Vampir Müller soll den Mörder finden

Am Fenster sehen Krieg und Frieden völlig anders aus – Uwe Timms Novelle „Die Entdeckung der Currywurst“

Von Bernd Berke

Uwe Timm ist ein Wanderer zwischen den Themen. In „Heißer Sommer“ gab der Autor eine Innenansicht der Studentenbewegung zur APO-Zeit, in „Der Mann auf dem Hochrad“ erzählte er eine circensisch angehauchte Geschichte aus Großvaters Epoche, in „Morenga“ schilderte er Deutschlands Kolonial-Historie. Jetzt bemäntelt er mit einem scheinbar komischen Titel ein ernstes Thema: „Die Entdeckung der Currywurst“ handelt vom Kriege und vom kleinen Widerstand.

Timms namenloser Ich-Erzähler besucht die erblindete Frau Lena Brücker, die er seit seiner Kindheit kennt, in einem Hamburger Altenheim. Kurz nach dem Zweiten Weltkrieg soll sie die Currywurst erfanden haben. Doch Timm spart des Rätsels Lösung auf. Am Ende erweist sich die Sache mit der Wurst als eher beiläufige Münchhausiade.

Tatsächlich hat Lena Brücker … Weiterlesen

Veröffentlicht unter Alltag, Krieg & Frieden, Literatur | Verschlagwortet mit , | Kommentare deaktiviert für Am Fenster sehen Krieg und Frieden völlig anders aus – Uwe Timms Novelle „Die Entdeckung der Currywurst“

Die Wege der Begierde sind verschlungen – Erotische Grafik von Hans Bellmer im Museum Bochum

Von Bernd Berke

Bochum. Der Mensch ist eine Schlingpflanze. Im zeichnerischen Werk des Surrealisten Hans Bellmer nimmt er jedenfalls mancherlei botanische Gestalt an und windet sich so tief wie möglich in sein Gegenüber hinein. Überall möchte er hinkriechen, wenn er nur sein Ich aufgeben kann. Derlei verschlungene Wege der Begierde zeichnet jetzt eine Ausstellung in Bochum nach.

Der gebürtige Schlesier Bellmer (1902-1975) war Opfer einer sehr rigiden Erziehung. Mag sein, daß gerade deshalb seine sexuellen Phantasien hernach so explodiert sind und gelegentlich auch in sadistische Gefilde à la Marquis de Sade abschweiften.

Über die Berliner Dadaisten, über Kontakte mit George Grosz und Otto Dix führte sein Weg in den 30er Jahren nach Frankreich – ins Herzland des Surrealismus, wo seine … Weiterlesen

Veröffentlicht unter Kunst & Museen | Verschlagwortet mit , , | Kommentare deaktiviert für Die Wege der Begierde sind verschlungen – Erotische Grafik von Hans Bellmer im Museum Bochum