Emigrant zwischen Entsetzen und Idylle – Bilder von Oskar Kokoschka in Bielefeld

Von Bernd Berke

Bielefeld. Auch wenn man gern lebt, wo man lebt, wird einem manchmal die eigene Welt zu eng. Dann muß man hinaus ins Weite. Man kann den Reisedrang des Künstlers Oskar Kokoschka (1886-1980) also verstehen, der schon in jungen Jahren aus der vermeintlichen Starre Wiens ins damals so bewegte Berlin flüchtete und den es dann auch in Dresden nicht hielt.

Seine späteren Fluchten (nach Prag und London) wurden ihm allerdings von den Nazis aufgezwungen. Doch Kokoschka wurde mit der Situation seelisch besser fertig als andere Emigranten. Vor allem um diese Zeit geht es jetzt in einer Ausstellung der Bielefelder Kunsthalle.

In den frühen 30er Jahren ergeht sich Kokoschka noch in schieren Idyllen: „Mädchen mit Blumen“, „Mädchen mit Gans im Korb“, „Mutter und Kind“ – Motive und Ausführung könnten einem Hausbuch deutscher Innerlichkeit entnommen sein. Unverkennbar der Hang, die Farbe im Wortsinne „dick aufzutragen“. Es wirkt, als sei der Künstler noch etwas unsicher gewesen und als habe er dieses Manko mit selbstbewußten Gebärden überspielen wollen.

Als er vor den NS-Machthabern, die ihn auf der schrecklichen Liste „Entarteter“ Künstler führten, nach Prag emigrierte, gewann sein Werk nicht sogleich an Schärfe. In der „goldenen Stadt“ widmete er sich ausgiebig dem Genre des Stadtporträts und suchte dabei nicht Hinterhöfe auf, sondern bevorzugte Postkarten-Perspektiven auf die Moldau, deren Ufer von Türmen und Brücken gesäumt wurden.

Manche Arbeiten durchflutet noch weiches Impressionisten-Licht, dann jedoch steht man vor „Prag – Blick von der Villa Kramár“ (1934/35). Hier hat sich die Szenerie gewandelt, der Himmel über Prag erscheint schrundig aufgerissen, als stünde das Jüngste Gericht bevor. Aus den Farben ist jede Lieblichkeit gewichen wie Blutröte aus einem entsetzten Gesicht.

Das „rote Ei“ und die Politik

Doch Kokoschka ist kein ausschließlicher Künder des Unheils geworden. Er schildert weiterhin auch die hellen Seiten des Lebens. Bilder wie „Nymphe“ und „Aktstudie“ (1938) belegen es. Vier Jahre bleibt er in Prag. 1938 kann er gerade noch vor den anrückenden deutschen Truppen nach London flüchten. Erneut malt er dort Stadtansichten, nur daß es diesmal die Themse ist, die unter den Brücken hindurch fließt. Machtvoll gehen die Blicke von oben herab in die Ferne, als schaue ein Herrscher auf seine Ländereien.

In London findet Kokoschka dennoch zu einer für ihn ganz neuen Ausdrucksform: der politischen Allegorie, also der bildhaften Darstellung sprachlicher Begriffe. Da steht etwa eine absurde Tischgesellschaft, bei der „Das rote Ei“ (1940/41) auf dem Teller liegt, für die Machenschaften beim „Münchner Abkommen“, mit dem England – zum Schaden der Tschechoslowakei – Hitler „besänftigen“ wollte.

Kokoschka greift nun häufig auf karikaturistische Mittel zurück, was seinen späteren Porträts zugute kommen wird: Er hat Illusionen verloren und kommt der inneren Wahrheit näher.

Oskar Kokoschka. Emigrantenleben – Prag und London, 1934-1953. Kunsthalle Bielefeld. 20. November bis 19. Februar 1995. Katalog 59 DM.

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Über Bernd Berke

Langjähriger Kulturredakteur bei der Anfang 2013 verblichenen Westfälischen Rundschau (Dortmund), die letzten elf Jahre als Ressortleiter. Zwischenzeitlich dies und das, z. B. Prosaband „Seitenblicke" (edition offenes feld, 2021), vereinzelt weitere Buchbeiträge, Arbeit für Zeitschriften, diverse Blogs und andere Online-Auftritte. Seit 2011 hier. Und anderswo. Und überhaupt.
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