Der Autor als Fabelwesen oder: Roman aus der Datenbank – Ulrich Holbeins Suada „Warum zeugst du mich nicht?“

Von Bernd Berke

Ist Ulrich Holbein ein Mensch oder eine Datenbank? Zu jedwedem Thema hat dieser Autor eine Flut von passenden Zitaten aus der gesamten Weltliteratur parat. So einen Kerl hat die deutsche Literatur lange nicht mehr gesehen.

Ist dieses Fabelwesen, 1954 in Erfurt geboren, jetzt in Nordhessen lebend, Deutschlands (post)modernster oder nur sein modischster Schriftsteiler, ein Gegenwarts-Kasper ohne weiteren Tiefgang?

Holbein nimmt praktisch sämtliche Einwürfe, die seinen Roman „Warum zeugst du mich nicht?“ betreffen könnten, in diesem selbst vorweg. Er hat seine eigene Kritik mitgeschrieben, aber auch die Lobhudelei auf sich selbst. Ein äußerst schwieriger Patron also. Stets mit dem Hirn schon eine Windung weiter, eine Ebene höher, so scheint es. Wie der Igel, der den Hasen immer schon zurufen kann: „Ick bün all hier“.

Kein Thema und alle Themen zugleich

Der Titel spielt sowohl auf die Zeugung eines Kindes als auch auf die Schaffung eines literarischen Werkes an. Die beiden Themenfelder werden vielfach übereinander geblendet und mit vielen Dutzend anderen derart versetzt, daß man von einem uferlosen, ja ozeanischen (ein Holbein-Lieblingswort) Buch sprechen kann. Es hat kein Thema, und es hat möglicherweise alle. Das schadet dem Fortgang des Romans ebenso wie Holbeins ungeheure Belesenheit. Diese veranlaßt ihn immer wieder zu bandwurmartigen Aufzählungen im Imponiergestus, als wolle er sagen: „Seht her, was ich euch noch zu bieten habe!“

Schon die Einleitung ist eine Suada des Größenwahns, bei der der Autor nur mühsam in eine Erzählerrolle schlüpft. Dieser Erzähler behauptet frechweg, er sei über alle Literatur zwischen Homer, Shakespeare, Goethe, Botho (gemeint: Botho Strauß) und Bodo (gemeint: Bodo Kirchhoff) weit, weit erhaben. Auch sein Psychoanalytiker ist längst durchschaut: So einem Durchblicker ist nun wahrlich auf Erden nicht zu helfen.

Uferlose Aufzählung statt Erzählung

Aufzählung statt Erzählung, das ist Holbeins größtes Leiden. Und wenn er denn einmal ins Erzählen gerät, so wird es schnell ziellos bizarr, so etwa beim Streifzug durch einen Sexshop der Zukunft, beim blutigen Vernichtungsfeldzug gegen seine eigenen Figuren (Metzelei per ComputerLöschtaste), bei seinen sarkastischen Exkursen in fernöstliche Heilslehren.

Ein gewisses Vergnügen an solchen Dingen trübt er allemal selbst, indem er schlichtweg überdreht. Holbein hat Mühe, seine Ideenfülle stilistisch zu bändigen. Er geht mit seinen Stoffen nicht ökonomisch um, er verschleudert sie en masse. Das Deutsch, das er schreibt, ist eben nicht von jener Edelgüte à la Handke oder Botho Strauß. Und: Seine Figuren bleiben seelenlos.

Holbein ist überdies ein Autor, dem man ständig mißtrauen muß. Führt er einen nicht andauernd hinters Licht? Das mag ja produktiv sein. Aber ist er nicht auch völlig scham- und herzlos, so wie er erzählt? So ganz ohne jede Überzeugung, wie einer, der sozusagen überhaupt keine Verwandten kennt? Da bewegt sich einer haltlos durchs Reich der Sprache, der offenbar immer nur mit Buchstaben umgegangen ist. Ein brillanter Essayist, der sich aufs Terrain des Romans verirrt hat.

Aber, wie gesagt: All diese Einwände sind dem Manne bewußt. Wie soll man ihm nur beikommen?

Ulrich Holbein: „Warum zeugst du mich nicht?“ Roman. Haffmans Verlag, Zürich, 262 Seiten. 36 DM.

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Über Bernd Berke

Langjähriger Kulturredakteur bei der Anfang 2013 verblichenen Westfälischen Rundschau (Dortmund), die letzten elf Jahre als Ressortleiter. Zwischenzeitlich dies und das, z. B. Prosaband „Seitenblicke" (edition offenes feld, 2021), vereinzelt weitere Buchbeiträge, Arbeit für Zeitschriften, diverse Blogs und andere Online-Auftritte. Seit 2011 hier. Und anderswo. Und überhaupt.
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