Der illusionslose Blick auf die Gewalt – „Violence Report“ von Leon Golub in Wuppertal

Von Bernd Berke

Wuppertal. „Gewalt gibt es immer und überall“, stellt der New Yorker Künstler Leon Golub fest. Was folgt daraus? Sollen wir, um nicht abzustumpfen, die Augen verschließen oder im Gegenteil genauer hinsehen? Golub empfiehlt mit seiner Wuppertaler Ausstellung „Violence Report“ den illusionslosen Blick.

Der Besucher geht wie durch ein Labyrinth, ständig aus dem Tritt gebracht. Denn die 31 großformatigen Bilder hängen nicht etwa an den Wänden, sondern – auf durchsichtige Plastikfolien gebannt – von der Decke herab und mitten in die Räume hinein. Solch direkte Konfrontation erzwingt Umwege. Fast wie bei Skulpturen eröffnen sich beim Umhergehen immer neue Perspektiven auf Vorder- und Rückseiten. Mehr noch: Schon ein leichter Luftzug kann die frei im Raum hängenden Bilder in gespenstische Bewegung versetzen.

Die Transparenz der Fotografien und Gemälde sorgt zudem für Durchsichten und optische Vermischung der einzelnen Motive. Die aus verschiedensten Zusammenhängen isolierten Szenen der Gewalt überlagern einander und addieren, ja multiplizieren sich zum universellen, letztlich zeitlosen Phänomen. Ist das nicht eine gefährliche, zur Resignation führende Sicht der Dinge? Ist Gewalt immer und immer wieder dieselbe, oder gibt es nicht doch Unterschiede?

„Negative Historienbilder“

Tatsächlich versteht documenta-Teilnehmer Golub (71) diese Arbeiten, die er erstmals in Europa präsentiert, als „negative Historienbilder“. Es beginnt zwar nicht mit Kain und Abel, doch eine Gewaltszene aus dem Jahr 630 v. Chr. markiert die geschichtliche Frühzeit. Politische Gewalt, Staatsterror, Folterszenen und straßenkriminelle Brachialakte fächern das Thema auf.

Golub legt Wert darauf, keinen Moment abzubilden, den man ohne weiteres dümmlich-voyeuristisch auskosten könnte. Er sucht in allen Epochen nach jenen häßlichen Schock-Sekunden, die uns womöglich stutzen und innehalten lassen. Der herrisch auf den fremden Körper gestellte Stiefel, die auf den Kopf gesetzte Pistole, das schmerzverzerrte, deformierte Gesicht, die schrecklich verrenkten Gliedmaßen. All das überlebensgroß, monumental.

Wie nehmen wir Gewalt wahr? Golub kann gar nicht anders, als die Verformung der Realität durch die Medien mitzubedenken. Mit Hilfe von Computergraphik hat er Irritationen in seine Bilder eingebaut. Sanfte Verschiebungen und Verrätselungen. Jene Bilder, die er aus Zeitungen entnommen hat, zeigen auf der Folie ihr stark vergrößertes Raster. Durchaus verfremdet kommt uns die Gewalt entgegen. Und durchaus vieldeutig. Derselbe Kopf wirkt aus dem einen Blickwinkel wie der eines rechtmäßig gestellten Verbrechers, aus dem anderen wie der eines schuldlosen Opfers. Unser Blick auf Gewalt kann jederzeit manipuliert werden.

Wer kann sagen, wie eine solche Ausstellung in den Köpfen wirkt? Vielleicht hilft sie ja, Gewalt wirklich einmal hellwach wahrzunehmen, statt sie bedenkenlos zu konsumieren.

Leon Golub: „Violence Report“. Kunsthalle Wuppertal-Barmen. Geschwister-Scholl-Platz. Bis 12. September, Di-So. 10-17 Uhr. Katalogheft 15DM.

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Über Bernd Berke

Langjähriger Kulturredakteur bei der Anfang 2013 verblichenen Westfälischen Rundschau (Dortmund), die letzten elf Jahre als Ressortleiter. Zwischenzeitlich dies und das, z. B. Prosaband „Seitenblicke" (edition offenes feld, 2021), vereinzelt weitere Buchbeiträge, Arbeit für Zeitschriften, diverse Blogs und andere Online-Auftritte. Seit 2011 hier. Und anderswo. Und überhaupt.
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