Kulturministerin rüffelt Kulturschaffende

So richtig habe ich meinen Augen zunächst nicht getraut, als ich dieses Zitat gelesen habe: „Die Kultur muss aufpassen, dass sie nicht immer eine Extrawurst brät.“ Denn wer hat’s gesagt? Ausgerechnet die NRW-Kulturministerin Isabel Pfeiffer-Poensgen, die nicht nur parteilos ist, sondern sozusagen auch „keine Verwandten“ zu kennen scheint.

Kulturveranstaltung mit Bestuhlungs-Abstand und Hygienekonzept. (Foto vom 1.11.2020: Bernd Berke)

Es stimmt ja: Kulturschaffende treten mitunter sehr fordernd auf und sind auch nicht allzeit bereit, sich auf einen breiten gesellschaftlichen Konsens einzulassen. Es muss wohl etwas oder sogar einiges vorgefallen sein, was der Kulturministerin nicht behagt. Also hat sie an die Kulturbranche appelliert, die harten Maßnahmen im Corona-Lockdown mitzutragen. So weit richtig und nachvollziehbar, gerade angesichts der ständig steigenden Infektionszahlen. Nur: Auf wen zielt ihre Suada?

Da steht dieser eine, irritierende und erratische Satz:„Die Kultur muss aufpassen, dass sie nicht immer eine Extrawurst brät.“ Was heißt denn überhaupt „D i e Kultur“? Und was heißt hier eigentlich „immer“? Und wäre unter „Extrawurst“ die bloße Existenzsicherung zu verstehen? In dieser Zuspitzung stimmt der ministeriale Satz einfach nicht. Hat man je aus einem zuständigen Ministerium gehört, das Hotel- und Gaststättenwesen bekomme „Extrawürste“ gebraten oder brate sie selbst? Dabei dürfte diese ebenso gebeutelte Branche weitaus entschiedenere Lobbyarbeit betreiben und mit Forderungen auch nicht hinter dem Berg halten.

Dass gerade Kulturschaffende und Kulturveranstalter zu jenen gehören, die am meisten unter der Corona-Krise leiden, dürfte sich herumgesprochen haben. Dass sie just von einer Kulturministerin recht pauschal angegangen werden, klingt – speziell in diesem Zusammenhang – überhaupt nicht angemessen. Es wird gar mit einer unterschwelligen Drohung verknüpft. Die Szene, so die wohlbestallte Ministerin Pfeiffer-Poensgen weiter, solle sich „nicht zu sehr aus dem gesellschaftlichen Konsens herausbewegen“, sonst könne es der Kultur dauerhaft schaden. Wird da auf diffuse Weise Wohlverhalten eingefordert; werden da etwa insgeheim Mittelkürzungen oder „Liebesentzug“ in Aussicht gestellt? Doch wohl hoffentlich nicht.

Gewiss: Bund und Länder schnüren etliche Hilfspakete und haben einen millionenschweren „Kulturstärkungsfonds“ auf die Beine gestellt. Dass hierbei immer noch nachjustiert werden muss, dürfte unstrittig sein. Die Fördermechanismen waren nämlich bislang nicht immer zielgerichtet und hilfreich. Betroffene könnten da viel erzählen. Aber will’s die Ministerin auch hören?

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P. S.: Die WAZ kündigt zu Pfeiffer-Poensgens Äußerungen heute auf ihrer Titelseite einen Bericht und Kommentar für die Kulturseite an. Der Bericht ist keine Eigenleistung, sondern erweist sich als Übernahme von der Deutschen Presseagentur (dpa), den Kommentar habe ich in der mir vorliegenden Ausgabe vergebens gesucht. Oder habe ich nur nicht genau genug hingeschaut?

Nachtrag am 10. November

Der Wahrheit die Ehre: Heute hat die WAZ mit einem Interview nachgelegt. Darin bedauert Frau Pfeiffer-Poensgen zumindest ihre „Extrawurst“-Wortwahl. Zitat: „Meine Wortwahl war sicherlich unglücklich, der Begriff hat manche offenbar sehr getroffen. Ich wollte niemanden verletzen (…) Ich würde den Begriff nicht noch einmal verwenden.“

 

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Über Bernd Berke

Langjähriger Kulturredakteur bei der Anfang 2013 verblichenen Westfälischen Rundschau (Dortmund), die letzten elf Jahre als Ressortleiter. Zwischenzeitlich dies und das, z. B. Prosaband „Seitenblicke" (edition offenes feld, 2021), vereinzelt weitere Buchbeiträge, Arbeit für Zeitschriften, diverse Blogs und andere Online-Auftritte. Seit 2011 hier. Und anderswo. Und überhaupt.
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