Ruhrfestspiele in Corona-Zeiten: Machen, was möglich ist

Japanisch inspiriert: Szene aus der Eröffnungs-Produktion „Die Seidentrommel“. (Foto: Christophe Raynaud de Lage)

Intendant Olaf Kröck bringt es auf diese Formel: „Die Ruhrfestspiele 2021 finden statt – wenn möglich: in Präsenz.“ Man sei auf alle Eventualitäten vorbereitet.

Wenn die Corona-Entwicklung günstig verlaufe, könne man ab Anfang Mai mit Aufführungen vor (begrenztem) Publikum „jederzeit loslegen“. Andernfalls lasse sich eine misslichere Situation auch rasch „abfedern“ – mit rein digitalen oder hybriden Formaten, wobei mit Letzteren vielfältige Mischungen aus Leibhaftigkeit und Internet-Übermittlung mit Bezahlschranke gemeint sind. Der Intendant kann sich vorstellen, dass man Aufführungen der Festspiele vom Bett oder von der Badewanne aus anschaut. Welch‘ ungewohnte Perspektiven…

Auch bei der heutigen Ruhrfestspiel-Programmvorstellung musste eine Videoschalte die wirkliche Zusammenkunft ersetzen. Einzelne Produktionen gerieten derweil beinahe zur Nebensache, so sehr musste und muss man sich Gedanken machen über die mögliche Umsetzung. Fast schon trotzig klingt es, wenn Olaf Kröck sagt, die Ruhrfestspiele würden jedenfalls „nicht vorauseilend verschwinden“. Und weiter, mit einer altgedienten Theater-Redensart: „Der Lappen muss hoch!“ (sprich: Der Vorhang muss aufgehen). Um all die Fährnisse der Planung wird wohl niemand Kröck und das Team beneiden.

30 Prozent der Plätze besetzen

Theater und sonstige Bühnenprogramme in Corona-Zeiten – das bedeutet beispielsweise, dass die Spielstätten bestenfalls zu je 30 Prozent der Platzkapazitäten ausgelastet sein dürfen. Familiär und partnerschaftlich darf man beieinander sitzen, aber dann kommen jeweils mindestens 1,50 Meter Abstand. Eine Sitzverteilung nach dem Schachbrettprinzip (theoretische Auslastung dann: rund 50 Prozent) wird man nach aller Wahrscheinlichkeit nicht zulassen können. Da ist abermals ein „Team Vorsicht“ zugange.

Zum Konzept gehört auch eine Entzerrung der Spielstätten (nunmehr elf an der Zahl, bis hin zum Recklinghäuser Stadion Hohenhorst) und der Anfangszeiten. Wo in früheren Jahren möglichst viele Leute aufeinander treffen sollten, ist es diesmal umgekehrt. Nicht ausgeschlossen, dass ein Zutritt in kritischen Pandemie-Lagen erst nach negativem Corona-Test erfolgen kann. Die nächsten Wochen und Monate werden zeigen, was überhaupt geht. Phantasien reichen bis hin zu garantiert ansteckungsfreien Roboter-Aufführungen vor einzelnen Menschen…

„Utopie und Unruhe“

Nun aber doch noch ein paar inhaltliche Stichpunkte: Das Festival, heuer in der 75. Ausgabe, steht zum Jubiläum unter dem Motto „Utopie und Unruhe“. Weltweite gesellschaftliche Verwerfungen sorgten allseits für Unruhe, doch komme dabei auch einiges in Bewegung, was womöglich ungeahnte Utopien eröffne. So lautet (ganz grob skizziert) eine Leitlinie der Festspiele, an denen rund 650 Künstler(innen) aus 20 Ländern teilnehmen. Das Jubiläum wird mit einer eher unspektakulären, von Andreas Rossmann kuratierten Foto-Ausstellung begangen, die vorwiegend unkünstlerische, aber zeitgeschichtlich beredte Schnappschüsse des Publikums aus der langen Festspielgeschichte versammeln soll.

Die Eröffnungspremiere am 2. Mai trägt den Titel „Die Seidentrommel“ und wird als „modernes Nō-Theater“ angekündigt, also als Adaption einer traditionellen japanischen Bühnenkunst. Der Text zur Koproduktion des Festivals d’Avignon und des Théâtre de la Ville (Paris) stammt von Jean-Claude Carrière, für Regie und Choreographie sind Kaori Ito und Yoshi Oida zuständig. Die Veranstaltung wird als hybrides Format geplant, das heißt, dass man entweder hingehen oder sie zu Hause (kostenpflichtig) streamen kann.

„Neuer Zirkus“: Momentaufnahme der australischen Truppe Circa Contemporary Circus mit der Aufführung „Sacre“. (Foto: David Kelly)

Um den Nahostkonflikt kreist die Produktion „Eine Frau flieht vor einer Nachricht“ nach dem gleichnamigen Roman von David Grossmann. Zum Themenkreis Klimawandel setzt die Gruppe Rimini Protokoll die „Konferenz der Abwesenden“ in Szene. Henrik Ibsens Weltendrama „Peer Gynt“ wird als Projekt von John Bock und Lars Eidinger (Berliner Schaubühne) zu sehen sein, ebenfalls aus der Hauptstadt (Berliner Ensemble) kommt eine „Dreigroschenoper“ in der Regie von Barrie Kosky. Als Uraufführung steht „Arbeiterinnen“ auf dem Spielplan, eine polnisch-deutsche Koproduktion über drei Frauengenerationen im Ruhrgebiet und in Niederschlesien.

Erwähnt sei noch ein recht vielfältiger Schwerpunkt „Neuer Zirkus“, u. a. mit einem live gestreamten Auftritt des Circa Contemporary Circus, dessen Truppe die australische Heimat unter den waltenden Umständen nicht verlassen mag. Doch der Ruhrfestspiel-Auftritt mit der Produktion „Sacre“ am 14. Mai kann eben weltweit via Internet gesehen werden.

Hier ist nicht der Platz, um alle Punkte auch nur aufzuzählen, man muss schon das Programmbuch („virenabweisende Oberfläche“) wälzen oder im Netz nachschauen. Dazu bitte hier entlang:

Ruhrfestspiele. Geplant vom 1. Mai bis 20. Juni. 90 Produktionen mit 210 Terminen an 11 Spielstätten.

Kartenvorverkauf erst ab 19. April (nochmals verschoben). Info- und Karten-Hotline 02361 / 9218-0

Programmdetails und Online-Kartenverkauf:

www.ruhrfestspiele.de

(Mail: kartenstelle@ruhrfestspiele.de)

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Über Bernd Berke

Langjähriger Kulturredakteur bei der Anfang 2013 verblichenen Westfälischen Rundschau (Dortmund), die letzten elf Jahre als Ressortleiter. Zwischenzeitlich dies und das, z. B. Prosaband „Seitenblicke" (edition offenes feld, 2021), vereinzelt weitere Buchbeiträge, Arbeit für Zeitschriften, diverse Blogs und andere Online-Auftritte. Seit 2011 hier. Und anderswo. Und überhaupt.
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