Kraftvoll leuchtet die Lebensfreude – Werkschau über Max Pechstein auf Schloß Cappenberg

Von Bernd Berke

Selm/Cappenberg. Man muß fast ein bißchen um die waldreiche Schloß-Idylle von Cappenberg bangen. Nicht, weil der Bergbau dort schon wieder ein neues Kohlefeld aufgetan hätte, sondern aus einem rundweg erfreulichen Grund: Im Schloß läuft jetzt d i e Kunstausstellung des Jahres im Revier, eine umfassende Werkschau des Expressionisten Max Pechstein (1881- 1955).

Höchstwahrscheinlich wird die Traumbesucherzahl der Cappenberger Barlach-Ausstellung (65 000) diesmal noch weit übertroffen. Jedenfalls waren gestern, zur Eröffnung, sämtliche Hotels der Umgebung ausgebucht, und auf Parkplätzen am Schloß herrschte drangvolle Enge. Da muß noch Infrastruktur nachgebessert werden, will man der Essener „Villa Hügel“ Konkurrenz machen.

Die rund 240 Exponate sind ausschließlich in Cappenberg zu sehen, darunter 76 Ölbilder, ferner Zeichnungen, Aquarelle, Druckgraphik usw. Da ein Großteil des Pechstein-Werkes in Kriegswirren verloren ging, sind übrigens auch die graphischen Arbeiten oft rare Einzelstücke.

Der Kunsthistoriker Dr. Jürgen Schilling hat die Schau – mit Leihgaben aus vielen europäischen Ländern (auch DDR) sowie den USA – in der überaus kurzen Zeit von etwa zehn Monaten zustande gebracht. Als Pechstein-Spezialist kannte er alle wichtigen Ansprechpartner. Schilling konnte sogar in New York glaubhaft machen, daß Cappenberg ein lohnender Ausstellungsort ist.

Max Pechstein war nach dem Krieg etwas in den Hintergrund gerückt; seine zeitweiligen „Brücke“-Mitstreiter Heckel, Schmidt-Rottluff (derzeit Werkschau in Bremen — bis 10.9.), Nolde und Kirchner wurden genauer wahrgenommen. Der gebürtige Zwickauer Pechstein war der einzige aus dieser Gruppe, der eine gründliche Kunstakademie-Ausbildung vorweisen konnte — und um 1910 auch der erste, der breite öffentliche Anerkennung fand. Jetzt tritt er, im Zuge der Aufwertung des „Malerischen“ gegenüber allerlei „Kopf-Kunst“, wieder ins Blickfeld.

Im Vergleich zu den anderen „Brücke“-Künstlem ist Pechstein der Sinnlichste, der unmittelbarer Ansprechende, derjenige mit dem ausgeprägtesten Hang zu schöner Harmonie. Seine Experimente mit dem Eigenwert der Farbe und der Aufteilung der Bildfläche waren zwar entschieden modern, aber nie „formstürzend‘ und aggressiv.

Auf das Nachkriegs-Alterswerk hat man in Cappenberg weitgehend verzichtet. Da wollte Pechstein durch Reprisen den Geist verschollener Werke wieder aufleben lassen. Interessant aber, daß er um 1948 noch mit surrealen Formen gearbeitet hat, wofür sich hier Beispiele finden.

Die Ausstellung zieht sich durch die langen Raumfluchten zweier Stockwerke. Der Rundgang beginnt mit Arbeiten wie „Frühlingslied“ und „Die Quelle“ (1906), noch ganz im Bann des ornamentalen Jugendstils. Dann aber der Aufbruch, etwa in der Orientierung an van Gogh: Die mit breitem Pinselstrich pastos gemalten „Fischerhäuser in Nidden“ (1909) stehen dem Vorbild an Intensität kaum nach. Später malt Pechstein auch Hafenbilder von geradezu „klassischer“ Ruhe. Immense Leuchtkraft der Farbe: Die „Gelbe Maske“ (1910), auch Plakatmotiv der Schau, lockt geheimnisvoll-sirenenhaft ins wandelbare Reich der Künste. Das „Selbstbildnis mit Hut und Pfeife“ (1918) zeigt bereits einen selbstbewußten Künstler, der sich durchgesetzt hat.

Auch auf den Zeichnungen dominieren immer wieder jene Motive, die Pechstein zur lebensfroh-sinnlichen Darstellung herausforderten: Bade-, Tanz-und Karnevalsszenen, dazu farbenprächtige Reminiszenzen einer Südsee-Reise nach Art von Gauguin, wun-| dervolle Frauenporträts und Akte — eine Schau zum Schwelgen.

Fazit: Mit der Pechstein-Retrospektive erlangt Cappenberg bundesweite Bedeutung. Gar keine Frage, daß erst die Finanzhilfe (200 000 DM) durch die Unternehmen des „Initiativkreises Ruhrgebiet“ diese Schau des Kreises Unna ermöglicht hat.

Bis 15.10., di-so 10—17 i Uhr, mo geschl. Katalog 44 DM

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Über Bernd Berke

Langjähriger Kulturredakteur bei der Anfang 2013 verblichenen Westfälischen Rundschau (Dortmund), die letzten elf Jahre als Ressortleiter. Zwischenzeitlich dies und das, z. B. Prosaband „Seitenblicke" (edition offenes feld, 2021), vereinzelt weitere Buchbeiträge, Arbeit für Zeitschriften, diverse Blogs und andere Online-Auftritte. Seit 2011 hier. Und anderswo. Und überhaupt.
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