Bizarre Welt aus Holz – Skulpturen des „Naiven“ Hans Schmitt in Recklinghausen

Von Bernd Berke

Recklinghausen. Schon ohne Besucher ist das Vestische Museum dicht bevölkert: Opa mit Enkeln, Mutter mit Kind, Putzfrau mit Eimer. Die „Leute“ sind aus Holz; Friedlich stehen sie Seit‘ an Seit‘ – mit einem „Beatle“, mit „Adam und Eva“, Pferden, Katzen usw.

Wir sind mitten im Phantasie-Reich des „naiven“ Bildhauers Hans Schmitt (77), eines ehemaligen Kuhhirten, Kohlefahrers, Gemeinde- und Privatdieners aus Bayerns Provinz, der erst im Alter kreativ wurde und wie ein Besessener Tausende von Skulpturen schuf. Inzwischen gilt er, neben dem 1971 verstorbenen Revier-Naiven Erich Bödeker, als einer der wichtigsten deutschen Vertreter jener Kunstrichtung.

Die „naive“ Sichtweise kann sich einer bewahrt oder aber mühsam wiedererobert haben. Zwischen beiden Polen der „Naivität“ erstreckt sich jedenfalls leider ein weites Feld glatter und marktgängiger Gefälligkeiten. Davon kann bei Hans Schmitt, der nie auf Moden und Entwicklungen der Kunstgeschichte geachtet hat, gar nicht die Rede sein. Seine Arbeiten sind urtümlich, schrundig, rauh, eben nicht glatt. Derlei Qualitäten erheben die Skulpturen über bloßes Kunsthandwerk. Manchmal „unterlaufen“ Schmitt im Schaffens-Rausch gar Figurationen wie die „Dame in Grau“, die stark (und doch eigenständig) an kubistische Plastiken von Picasso gemahnt, oder wie die „Tänzerin“ in beinahe futuristisch anmutender Bewegung sich ergeht.

Schmitt arbeitet ganz offenbar „additiv“, er fügt seinen Figuren immer noch weitere Teile hinzu, „baut an“, als sei es noch nicht genug. Reduktion ist seine Sache nicht. Die findet man weit eher bei Erich Bödeker, von dem einige Arbeiten als „Kontrastprogramm“ der Schmitt-Ausstellung beigegeben sind. Weiterer Unterschied: Schmitt ist entschieden „schamloser“, längst nicht so zurückhaltend wie Bödeker; er protzt geradezu mit Nacktheit.

Die wohl bizarrste Arbeit der Schmitt-Auswahl ist eine klinische Gruppenszene liebenswert-bedenkenloser Art, „Operation“ (1976): Krankenschwester „Narko“ schwingt den Hammer, Doktor „Heuler“ fletscht bedrohlich die Zähne, und Schwester „Placenta“ trägt schon das Austauschherz auf dem Tablett herein…

Recklinghausens Museumsdirektor Ferdinand Ullrich möchte übrigens künftig das Vestische Museum zum gleichrangigen Ausstellungsart (neben der Kunsthalle) aufwerten. Für sein Programm hat er bereits „einen dicken Fisch“ an der Angel: Er verhandelt mit Lothar-Günther Buchheim, dem bekannten und für zäheste Eigenwilligkeit berüchtigten Maler, Autor und Sammler, über eine Ausstellung expressionistischer Zeichnungen aus der Buchheim-Kollektion. Buchheim gehört übrigens auch zu den wenigen Förderern des „Naiven“ Hans Schmitt. Das ehrt ihn.

Hans Schmitt. Recklinghausen, Vestisches Museum, Hohenzollernstraße 12. Bis 8. Oktober. Begleitheft 10 DM, Buch über Schmitt 39,80 DM.

 

image_pdfPDF öffnen / Open PDFimage_printDrucken / Print
Visited 3 times, 1 visit(s) today

Über Bernd Berke

Langjähriger Kulturredakteur bei der Anfang 2013 verblichenen Westfälischen Rundschau (Dortmund), die letzten elf Jahre als Ressortleiter. Zwischenzeitlich dies und das, z. B. Prosaband „Seitenblicke" (edition offenes feld, 2021), vereinzelt weitere Buchbeiträge, Arbeit für Zeitschriften, diverse Blogs und andere Online-Auftritte. Seit 2011 hier. Und anderswo. Und überhaupt.
Dieser Beitrag wurde unter Kunst & Museen abgelegt und mit , , , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.