Letzte Trümmer vom „Schlachtfeld der Kunst“ – Skizzen und Zeichnungen der „Wiener Aktionisten“ in Köln

Von Bernd Berke

Köln. Seltsame Kontraste im Kölner Doppelmuseum Ludwig/Wallraf-Richartz: Vorbei an prachtvollen „alten Meistern“ wie Tintoretto führt der Weg in ein verschwiegenes Seitenkabinett. Die Namen der dort präsentierten Künstler sind skandalumwittert: Hermann Nitsch, Günter Brus, Otto Mühl, Rudolf Schwarzkogler. Dieses Quartett stand in den 60er Jahren für den berüchtigten „Wiener Aktionismus“.

Jeder tat auf seine spezielle Weise mit, der eine etwa als schweinischer Faun (Mühl), der andere als exzessiver Masochist (Schwarzkogier), doch alle waren sie beseelt vom selben Drang zur Abgründigkeit.

Wir blicken zurück: Die „Aktionisten“ sorgten mit ihren Ritualen und Orgien – u.a. unter „Verwendung“ von Tierblut, zumeist nackten Menschenleibern und deren sämtlichen (!). Ausscheidungen – für fragwürdige Erlebnisse weit jenseits der Ekelschwellen; sie ließen halt „alles ‚raus“. Ihre auch schriftlich und in Skizzen dargelegten Obsessionen reichten bis zu Lustmorden und Ausrottungs-Phantasien.

Mit einer Aktion in der Wiener Uni („Uni-Ferkel“) trugen sie 1968 so ganz nebenbei die ohnehin nur rinnsalhalft vorhandene österreichische APO-Bewegung frühzeitig zu Grabe, indem sie sie gründlich diskreditierten. Ziel solcher Anstrengungen auf dem „Schlachtfeld der Künste“ waren allemal Durchbrüche von der bloßen Darstellung ins „wirkliche Leben“ und Vorstöße in die Tiefe des Unbewußten.

Wenn nun das Ludwig Museum Skizzen und Zeichnungen der „Aktionisten“ zeigt (bis 17. 9.), beruft es sich u. a. auch auf Freud, der allerdings – daran muß erinnert werden – gerade die Sublimierung („Verfeinerung“) roher Triebe als Bedingung für Kulturleistungen ansah. Doch es hilft nichts, die Kölner Museumsleute wollen die Aktionisten nun einmal zu „Klassikern“ erklären. Ausdrücklich wird an die künstlerische Ausbildung des Quartetts erinnert, werden Verbindungen zur Tradition (Klimt, Schiele) beschworen.

Was man zu sehen bekommt, ist einigermaßen dürftig. Die kruden Körperarchitektur-Entwürfe des (zuletzt durch „Titel, Thesen, Temperamente“ und seine Frankfurter Professoren-Anwartschaft in die Schlagzeilen geratenen) Hermann Nitsch etwa oder seine Planzeichnungen für ein „Orgien-Mysterien-Theater“ sind recht eigentlich Produkte privater Besessenheiten, die als bloße Vorarbeiten in die Schublade gehört hätten. Noch enttäuschender ist Otto Mühls kreuzbrave Serie der Prominentenporträts von Mao bis Adenauer. Andy Warhol hat so etwas besser gekonnt.

Graphische Qualitäten entfalten immerhin die Arbeiten von Günter Brus, dessen mit zahllosen Geschlechtsteilen bebilderter Wahnsinns-Roman „Irrwisch“ hier erstmals vollständig gezeigt wird.

Nein, „klassisch“ ist das wahrlich nicht, aber auch nicht mehr provozierend. Voyeure werden allenfalls im Katalog (45 DM) fündig, der auch die Aktionen fotografisch dokumentiert. Mögen diese Aktionen seinerzeit bei manchen noch „Kitzel“ erzeugt haben, so sind die gezeigten Überbleibsel vollends wie tot, nichtssagend. Und so könnte der Ausstellungstitel „Zertrümmerte Spiegel“ böswillig umgedreht werden: „Gespiegelte Trümmer“.

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Über Bernd Berke

Langjähriger Kulturredakteur bei der Anfang 2013 verblichenen Westfälischen Rundschau (Dortmund), die letzten elf Jahre als Ressortleiter. Zwischenzeitlich dies und das, z. B. Prosaband „Seitenblicke" (edition offenes feld, 2021), vereinzelt weitere Buchbeiträge, Arbeit für Zeitschriften, diverse Blogs und andere Online-Auftritte. Seit 2011 hier. Und anderswo. Und überhaupt.
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